Was kostet es, eine Frau zu sein, Bea Knecht?

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ellexx – Patrizia Laeri

Du hast TV ins Internet geholt, als Digitalpionierin die Tech-Firma Zattoo gegründet und gross gemacht und in den USA den begehrten Tech-Emmy abgestaubt: Wie hast du das finanziert?

Die ersten 300’000 Franken habe ich 2005 privat investiert und bin damit schon relativ weit gekommen. Danach hatte ich Anker-Investoren. Als diese dann weggebrochen sind, war das schrecklich. Seither schaue ich, dass es überschaubar bleibt. Lieber wachse ich weniger aggressiv, dafür nachhaltig. Im Notfall auch selbst finanziert.

Wie viel Geld hast du eingesammelt?

Insgesamt habe ich 30 Millionen reingeholt. Und dies als Beat. Als Bea investiere ich nun.

Du hast als Beat Zattoo gegründet, jetzt führst du sie als Bea. Wirst du als Unternehmerin anders wahrgenommen?

Und wie. Und zwar vom Handwerker bis hin zum Verwaltungsrat. Männer haben mir plötzlich viel weniger Kompetenz zugeschrieben. Von einem Tag auf den anderen. Ich bin ja quasi der wandelnde A/B-Test. Ich habe es am eigenen Leib erfahren und musste mir als Frau Fachkompetenz und Respekt neu erarbeiten. Als ob man bei einer Geschlechts-OP das Hirn tauschen würde.

Was kostet Frauen eine Karriere?

Viel, nicht mal nur in Geld gemessen, aber vor allem in Zeit. Wenn jemand Expert:in auf ihrem Gebiet werden will, benötigt sie dafür 10’000 Stunden. Das sind ungefähr fünf Jahre. Auf dem Weg zu diesen 10’000 Stunden werden Frauen ständig unterbrochen, werden Mutter, kümmern sich um die Familie, die Eltern. Gerade in der Informatik hat Wissen eine kurze Halbwertszeit. Eine Frau benötigt für diese 10’000 Stunden oft sieben Jahre. Für die Unterbrüche werden Frauen bestraft, müssen sich ständig wieder neu orientieren.

Sind Frauenkarrieren im Tech-Sektor deshalb besonders rar?

Ja, wir erleben einen Tsunami an neuen Technologien. Tools und Trends sind schnelllebig. Für weibliche Karrieren ist das ein Horror. Und gleichzeitig wird in der Wirtschaftswelt komplett unterschätzt, was gestandene Frauen, Mütter an Kompetenzen mitbringen. Man lernt unglaublich viel im Umgang mit Kindern.

Du bist nicht nur Unternehmerin, sondern auch Investorin, beteiligst dich an Tech-Firmen. Wie läuft es?

Ja, ich professionalisiere meine Investments und baue einen eigenen VC-Fonds auf. Ich habe fünfzehn Investments. Dazu gehören vier eigene Firmen und elf fremde Beteiligungen. Die drei Investitionen in den USA musste ich leider komplett abschreiben. Aber die acht Beteiligungen in der Schweiz, die rentieren.

Investierst du mehr in Frauen oder Männer?

Bisher mehr in Männer. Aber ich habe jüngst damit angefangen, mehr darauf zu achten und auch in Frauen zu investieren. Ich habe beispielsweise in Gryps investiert, weil Frauen es machen. Das ist ein Offertenportal. Es wurde jüngst an Ringier Axel Springer verkauft.

Unterscheiden sich männliche und weibliche Unternehmer:innen?

Frauen sind risikobewusster. Lehman Sisters wäre nicht passiert. Hätte ich einen grossen Goldschatz zum Verwalten, würde ich diesen einer Frau anvertrauen.

Kennst du Lohnungleichheit?

Ich spreche jetzt in Stereotypen, daher mit einer Prise Salz zu konsumieren: Viele Kollegen verhandeln ihren Lohn aggressiver als ich. Ich schaue zuerst für die Firma, dann für mich. Ich will Geschäft und Geld bringen, bevor ich selbst mehr Geld verlange. Vielleicht denken Frauen eher so? Wir stützen unseren Selbstwert nicht nur auf Arbeit und Einkommen ab. Männer definieren sich singulärer über ihre Karriere. Sie verlieren bei Jobverlust alles: Das Firmenauto, die exklusiven Einladungen, die Bürohilfen. Für Männer ist das katastrophal.

Dein Karriere-Rat an Frauen?

Übe dich im Kleinen, um mutig in grösseren Schritten voranzugehen.

Wie viel kostet es, auch äusserlich zur Frau zu werden?

Es kostet und tut weh. Nur wenige Millimeter im Gesicht entscheiden, ob man als Frau oder Mann wahrgenommen wird. Die Knochenstruktur am Kiefer und Stirn. Zu den Operationen an Körper und Gesicht kommen Hormontherapien und Stimmtraining. Alles in allem kostet eine Geschlechtsangleichung rund 100’000 Franken. Aber das teuerste sind die gesellschaftlichen Kosten und die Verzichtskosten. Die OP-Kosten sind nichts dagegen.

Wie meinst du das genau?

Die Geschlechtsangleichung erfordert oft unbezahlte Absenzen von der Arbeit und hemmt die Karriere. Wir müssen offenbar der Gesellschaft erst mal beweisen, dass auch wir beruflich liefern können und Steuern zahlen.

Was könnten wir als Gesellschaft aus deiner Geschichte lernen?

Es wäre trans Menschen sehr geholfen, wenn sie die Angleichungen früh machen dürften. Die momentane Geschlechter-Beweisführung ist unmenschlich. All diese bürokratischen Schikanen. Die Hürden sind hoch. Man muss es den Krankenkassen aufwendig beweisen. Wenn sich ein Kind insistent, persistent und konsistent dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt, dann sollte man den Schritt möglichst früh machen.

Du hast ihn erst mit 44 gemacht?

Ja, und ich hätte es gerne früher getan. Ich bin glücklich, ausgebrochen zu sein. Männer sind zu einer extremen Konformität verdammt.

Sprichst du in Frauenrunden über Geld?

Hm, da sehe ich schon einen Unterschied. Ich spreche in Frauenrunden zwar viel über Unternehmertum, über das Gründen, aber weniger über Geld. Investieren ist dort kein Thema. Dagegen spreche ich mit 80 Prozent der Männer genau über dies.

Wer hat mit dir zu Hause über Geld gesprochen?

Meine Eltern waren sehr bescheiden. Sie waren Transportunternehmer, verdienten ihr Geld mit Lastwagen. Jeden Rappen haben sie gespalten. Wir haben nie gross Ferien gemacht. Vielleicht mal eine Busfahrt, aber dann haben meine Eltern die Reise organisiert, mein Vater chauffiert und wir das Geld eingezogen. Ferien waren immer mit Arbeit verbunden.

Hast du Taschengeld erhalten?

Nein nie. Geld lief über Arbeit. Ich habe meinem Bruder die Schuhe geputzt oder die Treppen gefegt. Geld hat Pflichten mit sich gebracht, und ich bin über Arbeit bezahlt worden.

Was war der Leitsatz, was hast du dir gemerkt?

Dienen vor verdienen.

Wieviel verdienst du denn?

Vor 20 Jahren war mein Ziel, mehr als 10 Millionen Franken zu besitzen. Das habe ich erreicht. Es ist wichtig, sich erreichter Ziele bewusst zu sein und die Latte nicht dauernd höher zu stecken. Wer das Ziel erreicht und allenfalls sogar mehr erreicht, darf sich uneingeschränkt freuen.

Wie wichtig ist Geld in Beziehungen?

Als junge Person sollte Geld nicht etwas sein, das zwei Menschen zusammenbringt oder trennt. Man ist ja noch jung, hat Zeit, und es spielt keine Rolle. Aber nun beim Älterwerden spielt es eben doch eine Rolle. Bis man 50 ist, sollte man sein Geldleben sortiert und genug davon haben. Geld gehört auch zur Beziehungshygiene. Geld ist dann auch ein Proxy, ob jemand mit dem Leben umgehen kann oder nicht.

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