Mobiliar-Chefin: «Es dürfte zu Prämienerhöhungen kommen»

Michèle Rodoni.

watson – florence vuichard 

Mobiliar-Chefin Michèle Rodoni erklärt, warum für Hausratsversicherung mehr bezahlt werden muss und wieso sie sich persönlich für ein Ja zur AHV-Revision engagiert.

Ein Chefbüro gibt es seit 2015 keines mehr. Michèle Rodoni sucht sich am Morgen jeweils einen freien Platz im Grossraumbüro am Mobiliar-Hauptsitz in Bern.

Wie alle anderen Angestellten der genossenschaftlich organisierten Versicherung muss auch sie mit einem kleinen Kästchen klarkommen zur Aufbewahrung von irgendwelchen Dokumenten. Doch das stört sie nicht, Rodoni will jedenfalls nichts daran ändern: «Es funktioniert sehr gut und gehört jetzt zu unserer Firmenkultur.»

Wie hat sich die Pandemie auf die Firmenkultur ausgewirkt?
Michèle Rodoni: Wir sind sicher alle digital fitter geworden, ich auch. Wir haben gelernt, digital und hybrid zu arbeiten. Und wir geniessen die Flexibilität, die wir in der Pandemie gewonnen haben. Diese Flexibilität soll bis zu einem gewissen Teil erhalten bleiben. Wir haben deshalb entschieden, dass unsere Mitarbeitenden nur noch mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit vor Ort sein sollen. Jedenfalls die rund 3000, die an den Direktionsstandorten in Bern, Nyon und Zürich arbeiten.

Was ist denn mit den 3000 bei den 80 Generalagenturen?
Dort entscheiden die Generalagentinnen oder Generalagenten selbst, wie sie ihre Agentur organisieren wollen. Sie kennen die Verhältnisse vor Ort, sie wissen am besten, was richtig ist.

 

«Wir geniessen die Flexibilität, die wir in der Pandemie gewonnen haben.»

 

Kommen Ihre Mitarbeitenden denn gerne ins Büro zurück?
Ich denke schon, wenn ich die langen Schlangen vor unseren Personalrestaurants sehe! Im Ernst: Aus unseren internen Befragungen wissen wir, dass unsere Mitarbeitenden gerne zwei bis drei Tage im Büro sind. Mir ist es wichtig, einen klaren Rahmen zu setzen – und dann innerhalb dieses Rahmens die grösstmögliche Freiheit zu lassen.

Alle Firmen jammern über den Fachkräftemangel. Finden Sie noch genug Leute?
Bei uns ist das Problem nicht akut, aber es ist eines – und es wird mittelfristig ein noch viel grösseres Problem werden. Es fehlen nicht nur die viel genannten IT-Experten, sondern auch Spezialisten in den verschiedenen Versicherungsfachbereichen. Heute bilden wir rund 330 Lernende pro Jahr aus, aber das reicht nicht. Der Nachwuchs fehlt. Wir müssen noch mehr in die Nachwuchsförderung investieren. Aber auch das wird nicht reichen.

 

«Das Frauenrentenalter 65 ist übrigens kein Novum.»

 

Was bleibt denn noch übrig? Länger arbeiten?
Ja. Wir müssen mit neuen, flexibleren Arbeitsmodellen versuchen, die Menschen länger im Arbeitsleben zu halten. Wir evaluieren jetzt entsprechende Massnahmen. Es geht uns zum Beispiel darum, dass unsere qualifizierten, motivierten Mitarbeitenden im geeigneten Rahmen auch über das Pensionierungsalter hinaus für die Mobiliar und ihre Tochterunternehmen arbeiten können. Ich glaube, dass die Flexibilität bei diesen Diskussionen ein zentrales Kriterium ist. Deshalb ist auch diese AHV-Revision so wichtig, über die im September abgestimmt wird.

Sie sind also dafür, obwohl Sie persönlich dann erst mit 65 statt wie heute mit 64 in Pension gehen dürften?
Es geht hier nicht um mich. Es ist eine der wichtigsten Vorlagen in dieser Legislatur. Wir müssen die AHV zwingend finanziell absichern. Deshalb unterstützen wir diese Revision – und «wir» heisst: die Mobiliar, der Versicherungsverband wie auch ich persönlich. Das Frauenrentenalter 65 ist übrigens kein Novum: Als die AHV 1948 eingeführt wurde, lag das Rentenalter für beide Geschlechter bei 65 Jahren.

 

«Heute werden jährlich 7 Milliarden Franken von der jüngeren zur älteren Generation umverteilt. Das ist nicht fair – und es ist vor allem langfristig nicht nachhaltig.»

 

Und dann haben die Männer das Frauenrentenalter 1957 und 1962 zuerst auf 63 und später auf 62 gesenkt, weil die in der Regel etwas älteren Männer im Ruhestand nicht allein zu Hause sitzen wollten. Das jedenfalls behaupten böse Zungen.
Ob das so ist, weiss ich nicht. Ich setze mich für die Gleichstellung ein – und zwar überall und insbesondere bei der Arbeit, beim Lohn und bei der Flexibilität. Bei der Mobiliar überprüfen wir jährlich, ob die Lohngleichheit erfüllt ist. Über 40 Prozent unserer Mitarbeitenden arbeiten Teilzeit – ein Angebot, das von Männern und Frauen genutzt wird.

Sie gehören auch zur Übergangsgeneration, Sie würden von einem – wenn auch sehr kleinen – Rentenzuschuss profitieren.
(lacht) Das stimmt, aber das ist definitiv nicht der Grund, wieso ich mich für diese Reform einsetze. Und ja, es braucht Ausgleichsmassnahmen. Unser Drei-Säulen-Modell ist vielleicht das beste Vorsorgesystem der Welt. Jede der drei Säulen hat ihr Finanzierungsmodell, jede sollte langfristig überlebensfähig bleiben. Deshalb braucht es jetzt auch dringend eine Revision bei der zweiten Säule, bei der beruflichen Vorsorge. Heute werden hier jährlich 7 Milliarden Franken von der jüngeren zur älteren Generation umverteilt. Das ist nicht fair – und es ist vor allem langfristig nicht nachhaltig. Wir müssen deshalb den Umwandlungssatz senken. Aber natürlich braucht es auch bei der zweiten Säule eine Kompensation für die Übergangsgeneration.

 

«Bei den Sachversicherungen dürfte es zu Prämienerhöhungen kommen – zum Beispiel bei der Hausratsversicherung.»

 

Aber genau bei dieser Kompensation gibt es keine politische Einigkeit. Es gibt sogar Stimmen, welche fordern, dass die Pensionskassen das Problem selbst lösen – und im Notfall auch einen Konkurs einer Kasse in Kauf nehmen.
Mieux vaut prévenir que guérir! Vorbeugen ist definitiv besser als heilen. Der Grundgedanke hinter der zweiten Säule ist einfach: Alle sparen im aktiven Berufsleben ihr eigenes Alterskapital an, das dann verzinst bei der Pensionierung in eine lebenslange und lebensstandarderhaltende Rente umgewandelt wird. Wenn das heutige Rentenniveau gehalten werden soll, dann muss entweder länger gearbeitet oder mehr einbezahlt werden. Es gibt keine Wunder.

Wunder versprach die Börse. Doch seit Anfang Jahr sind die Kurse um rund 15 Prozent eingebrochen. Trübt das auch das Geschäft der Mobiliar?
Das ist eine Momentaufnahme. Wir bei der Mobiliar denken und handeln langfristig, unsere Anlagephilosophie wird bestimmt vom Motto «Sicherheit vor Rendite». Deshalb sind unsere Gelder sehr breit diversifiziert angelegt. Unsere Kundinnen und Kunden müssen sich keine Sorgen machen, sie können gut schlafen.

Müssen sie denn mehr Prämien zahlen, angesichts der inflationären Entwicklung?
Bei den Sachversicherungen dürfte es teilweise zu Prämienerhöhungen kommen – zum Beispiel bei der Hausratsversicherung, denn der Wert des versicherten Hausrats ist an den Landesindex der Konsumentenpreise geknüpft. Das heisst, die Summe steigt mit der Inflation, wodurch auch die Prämien steigen. Das hat einen guten Grund, denn dank der Koppelung an den Index geraten Versicherte nicht in eine ungewollte Unterversicherung. Anders ist die Ausgangslage bei den Autoversicherungen: Dort orientieren sich die Prämien am Kaufpreis des Autos und sind nicht indexiert. Hier tragen wir das Risiko. Heute sind die gestiegenen Kosten, etwa für Autoersatzteile, noch nicht in den Prämien abgebildet. Wir beobachten die Entwicklungen aber sehr aufmerksam.

Und was ist mit den Prämien bei den Personenversicherungen wie etwa den Taggeldversicherungen?
Hier sind die Prämien als Prozente der Lohnsumme fixiert. Das heisst: Steigen die Löhne, steigen auch die Prämien.

Es wird also fast alles teurer. Die Mobiliar als Genossenschaft könnte jetzt doch Gegensteuer geben und die Prämien senken.
Unsere Prämien sind korrekt berechnet, sie entsprechen den kalkulierten Risiken. Und sie sind absolut konkurrenzfähig, sonst würden wir nicht Jahr für Jahr Marktanteile gewinnen. Wir geben zudem einen wesentlichen Teil unseres Gewinns an unsere Kunden zurück: 2021 waren es 180 Millionen Franken, bei einem Gewinn von 475 Millionen Franken. Zudem finanzieren wir eine Vielzahl von gemeinnützigen Projekten in der ganzen Schweiz. So haben wir etwa in den vergangenen 15 Jahren über 40 Millionen Franken für 155 regionale Hochwasserschutzprojekte eingesetzt.

Davon profitiert auch Ihre Versicherung: Weniger Hochwasser heisst weniger Hochwasserschäden, heisst weniger Kosten für Ihre Versicherung …
… und weniger Prämien für unsere Versicherten! Zudem profitieren von unseren Präventionsprojekten ja auch die anderen Versicherungen und deren Kunden. Wir investieren zudem auch in die Kultur, etwa in das Filmfestival Locarno. Wir haben unseren Vertrag als einen der vier Hauptpartner bis 2025 verlängert. Das ist wichtig für die Kultur in unserem Land, und auch für das Tessin. Solche Engagements sind wichtig für unsere genossenschaftlichen Werte.

Wäre Lohnbescheidenheit nicht auch ein genossenschaftlicher Wert? Sie verdienen gemäss Zeitungsberichten rund 2 Millionen Franken, der Raiffeisenchef hat zu einem Lohndeckel von maximal 1.5 Millionen Franken verpflichtet, obwohl sein Genossenschaftsunternehmen etwa doppelt so viel Gewinn macht wie die Mobiliar. Sollten Sie nicht auch Ihren Lohn deckeln?
Die Mobiliar neigt nicht dazu, andere nachzuahmen. Wir gehen unseren eigenen Weg. Wie dieser aussieht, lässt sich in unserem Geschäftsbericht nachlesen.

 

Der Artikel von florence vuichard 

bild: keystone

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