«Mit Realismus und Idealismus für #Gleichstellung & gegen #HassImNetz»

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„BÄRNER BÄR“ – Michéle Graf – Die Geschäftsführerin von alliance F auf der Titelseite des Bärnerbär.

Mit Realismus und einer unerschütterlichen Portion Idealismus setzt sich Sophie Achermann für Gleichstellung und gegen Hass im Netz ein. Daneben ist sie zweifache Mutter und politisch engagiert. Wie sie das alles schafft? Mit Teamwork und viel Schlaf.

Bilder von vernachlässigten Kindern und erhobenen Damenhänden – heutzutage befremden die alten Wahlplakate gegen das Frauenstimmrecht sehr. Bewusst haben Sophie Achermann und ihre Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle der Alliance F die damaligen Ja- und Nein-Parolen aufgehängt.

«Es ist interessant. Mit dem Bild des Kindes wird bis heute politisiert», weiss Achermann. Eine Schweiz ohne Stimmen der Frauen – heute undenkbar und doch: «Wir feiern nicht 50 Jahre Frauenstimmrecht, aber dessen Vorkämpferinnen. Wir stehen heute dankbar auf den Schultern der Frauen, die damals mutig dafür eingetreten sind. Die Geschichte zeigt: Wenn die unterschiedlichsten Frauen zusammen kämpfen, haben wir ein riesiges Potenzial, die Schweiz zu verändern.» So lancierte der Dachverband schon Projekte wie Helvetia ruft, 2021 das Frauenrütli, demnächst steht die Frauensession an. Die vollkommene Gleichstellung der Geschlechter bleibt eine Langzeitbaustelle, auf der die Bernerin Achermann unermüdlich arbeitet.

«Das ist eine Absurdität»
Die reflektierte Geschäftsführerin von Alliance F zeigt, dass die Probleme dabei oft zusammenhängen. Es fehlten eine ideal lange Elternzeit, Vaterschaftsurlaub und genügend bezahlbare Kitaplätze, so dass Frauen schneller wieder in den Beruf einsteigen können.

Achermann, selbst zweifache Mutter, sagt: «In der Stadt Bern funktioniert es mit den Kitas glücklicherweise gut, aber in ländlichen Gegenden können meine Bekannten von einer solchen Infrastruktur nur träumen.» Hinzu kommt eine hohe Besteuerung des meist weiblichen Zweiteinkommens in der Ehe. Zusammen mit den Betreuungskosten lohne sich Mütterarbeit so weniger. Achermann weiss: «20 Prozent der Mütter geben an, unfreiwillig unterbeschäftigt zu sein. Sie würden gerne mehr arbeiten, können es sich aber nicht leisten. Das ist eine Absurdität!» So kämpft Alliance F auch für die Individualbesteuerung.

Niedrige Pensen von Frauen ziehen zudem ein weiteres Problem nach sich: Wer wenig arbeitet, kann für die Rente weniger zurücklegen. «Armut im Alter ist in der Schweiz weiblich.» Letztlich bleibt die finanzielle Unabhängigkeit einer der wichtigste Faktor der Gleichstellung und gegen Gewalt an Frauen. «Patriarchale Strukturen zementieren sich, wenn eine Person die Macht und das Geld hat. Das ist auch hier in der Schweiz immer noch so.» Mit der richtigen Gesetzgebung kann das durchbrochen werden.

So hat Helvetia Sophie Achermann selbst früh gerufen. Sie war Schweizer Jugenddelegierte bei der UNO in New York und baute das Berner Jugendparlament mit auf. Nach KV und Berufsmatura arbeitete sie im Sekretariat der Kommissionen für Umwelt, Raumplanung und Energie der Parlamentsdienste. Mit gerade einmal 25 Jahren wurde sie Geschäftsführerin bei Alliance F. Für das Grüne Bündnis sass sie die letzten Jahre im Stadtrat.

Mit dem Projekt Stop Hate Speech setzt Achermann sich heute gegen Hass im Netz ein, mittels eines intelligenten Suchalgorithmus und einer Community, die positive Gegenrede erzeugt. «Mich erschreckt, wie schnell Menschen im Netz hässig und ausfallend werden. Das macht Angst und manche ziehen sich von Diskussionen zurück, was uns schadet. Mit Trump haben wir gesehen, dass soziale Medien ganze Demokratien ins Wanken bringen können. Der Ton in unseren Diskursen ist zu scharf geworden», sagt Achermann zur Motivation hinter dem Projekt. Sie und ihre Mitarbeitenden waren auch schon von Hassmails und Telefonen betroffen. «Oft, wenn wir etwas Neues lancieren und harte Arbeitstage hinter uns haben. Dann sind Kommentare schwer auszuhalten.»

Der nächste Schritt wird eine grosse Twitterstudie sein, die herausfinden soll, wie und wo Hass im Internet vorkommt, wer ihn gegen wen richtet und welche Reaktionen sinnvoll sind. Wie schafft sie das alles? Achermann lacht. «Das sieht von aussen schlimmer aus, als es ist. Ich habe hier ein unglaubliches Team. Wir retten uns immer gegenseitig.» Ihr zweites Erfolgsrezept? «Ich schlafe viel, so dass ich danach möglichst effizient sein kann. Eltern kennen das: Um 18 Uhr macht die Kita zu, bis dahin muss man seine Arbeit erledigt haben.»
Die Hausarbeit teilt sie sich mit ihrem Mann, der auch wäscht und staubsaugt. «Wenn man eine Feministin heiratet, dann weiss man, worauf man sich einlässt», schmunzelt sie und gibt ehrlich zu, im Haushalt ziemlich unbegabt zu sein. In ihrer wenigen Freizeit tanzt sie leidenschaftlich gerne oder trifft sich mit alten Freundinnen oder der Familie. Hier begegnet sie Menschen ausserhalb ihrer Bubble: «Viele haben ganz andere Lebensrealitäten als ich und holen mich im Denken aus der Komfortzone.» Egal, welches Lebens- und Familienmodell: Achermann will erreichen, dass Frauen sich gegenseitig nicht mehr beurteilen, sondern unterstützen.

«Und wie entstand die Frau?»
Ihrer sechsjährigen Tochter macht sie klar, dass sie Astronautin oder Zoodirektorin werden kann. «Sie soll sehen, dass es überall Chefinnen gibt. Der, böse gesagt, Teppichetagen-Feminismus ist eben auch wichtig.» Frauen sollten die Wirtschaft bis in jede Position nach oben hin stürmen. Damit Kinder sehen: Sie haben jegliche Chancengleichheit.

Wie wichtig Sichtbarkeit ist, merkt Achermann auch im Alltag: «Neulich fragte mich meine Tochter nach der Evolution des Menschen. Alle Schaubilder dazu zeigten Tiere und Männer. Am Ende fragte sie mich: ‹Und wie entstand die Frau?›» Achermann musste lachen. Wie in Bildern, so müsse auch die Sprache inklusiver werden. Deshalb ist sie für Gendersternchen, geht damit aber locker und adressatengerecht um. Die derzeit hitzigen Diskussionen darum versteht sie weniger. «Mir tut es nicht weh, ein * zu schreiben.»
Achermann macht klar, dass die Gleichstellung keine Einbahnstrasse ist: So ist es ihr mindestens genauso wichtig, ihrem zweijährigen Sohn vorzuleben, dass er kein «typischer Kerl» oder der «Ernährer» werden muss. «Letztlich geht die Gleichstellung alle Geschlechter an. Wir müssen uns öffnen und überlegen, wie wir zusammenleben wollen, so dass alle teilhaben können. Langfristig profitieren alle.»

Der Artikel auf Bärnerbär

 

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