Ex Ständerätin Pascale Bruderer – «Wer loslässt, hat die Hände frei»

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Schweizer Illustrierte –

Einst war sie die populärste Jungpolitikerin der Schweiz. Dann trat Pascale Bruderer mit 42 Jahren zurück. Wovon andere ihr abgeraten haben, war für sie schon lange der Plan. «Es gibt ein Leben nach der Politik.»

Mit 24 Jahren wurden Sie jüngste Nationalrätin, mit 32 höchste Schweizerin, danach Ständerätin – auf bestem Weg also, höchste politische Ämter zu erreichen. Dann sind Sie vor drei Jahren zurückgetreten. Warum?
Pascale Bruderer: Vielleicht gerade darum. Ich bin sehr jung in die Politik eingestiegen. Zwei Dinge waren für mich schon immer klar: Es gibt ein Leben neben der Politik, und es wird ein Leben nach der Politik geben. Ich dachte, ich bleibe vielleicht zehn Jahre, es wurden über zwanzig. Der Schritt kam in meinem Empfinden nicht früh, eher spät.

Bereuen Sie den Rückzug manchmal?
Nein, es war der richtige Entscheid zum richtigen Zeitpunkt. Ich hatte noch immer Freude an meiner politischen Arbeit – aber nach zwei Jahrzehnten auch grosse Lust, Neues anzupacken. Eigenständig zu entscheiden, ist ein grosses Privileg. Zudem habe ich es schon immer gemocht, meine Komfortzone zu verlassen. Wer loslässt, hat die Hände frei.

Haben Sie lange gerungen?
Als die Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli 2016 kurzfristig ihren Rücktritt kommunizierte, wurde ich für ihre Nachfolge angefragt. Es blieben mir nur drei Tage für die Entscheidung. Ich zog mich in die Berge zurück, ging wandern, und da wurde mir bewusst: So spannend eine Regierungsaufgabe ist – zehn weitere Jahre Politik kommen für mich nicht infrage. Es war Zeit für neue Ideen, neue Pläne und Projekte. Ich lehnte nicht nur die Kandidatur ab, sondern bereitete mich innerlich langsam auf den politischen Abschied vor. Mit Vorfreude auf das, was danach kommen wird, aber dennoch bis zum letzten Tag als Ständerätin top motiviert. Gute Gesundheit vorausgesetzt, war ein Rückzug vor Ende Legislatur nie ein Thema für mich.

Gab es auch Leute, die sagten, Sie sollten weitermachen?
Selbstverständlich. Gerade wegen meiner sehr guten Wahlergebnisse war es für viele nicht nachvollziehbar, warum ich bereit war, das aufzugeben. Für mich spielte das aber nie eine Rolle. Ich wusste: Für meine gesellschaftlichen Werte kann ich mich weiterhin einsetzen – künftig jedoch in der Wirtschaft, nicht mehr in der Politik.

War es schwierig, loszulassen?
Eigentlich kam es mir gar nicht wie Loslassen vor. Ich kann meine politischen Erfahrungen in meine Mandate einbringen, bewege mich in einem ähnlichen Umfeld. Klar, der regelmässige Austausch mit den Parlamentarierinnen und Parlamentariern fehlt mir manchmal. Aber dann schicke ich einfach eine SMS, und wir treffen uns. Was mir half: Als die Sanduhr langsam ablief, habe ich mir bewusst Zeit für den Abschied genommen. Ich habe die letzten Monate in Bern richtig genossen.

Hatten Sie keine Angst vor einer grossen Leere danach?
Im Gegenteil, ich freute mich auf neue Aufgaben. Und dass es davon genug geben würde, daran zweifelte ich nie. Ich habe meinen Rücktritt zwar nicht mit diesem Hintergedanken eineinhalb Jahre im Voraus angekündigt, würde es aber jedem raten. So lässt man nicht nur sich selber die nötige Zeit für den Abschied, sondern auch dem Markt und dem Umfeld.

Letztes Jahr wurden Sie als Kronfavoritin für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga gehandelt. Warum lehnten Sie ab?
Die Anfrage kam ja komplett überraschend. Sie traf mich mitten im Arbeitsalltag, ich erhielt ununterbrochen SMS. Seit meinem Abschied war eine Rückkehr nie ein Thema, das unternehmerische Engagement bedeutet mir sehr viel, und ich erlebe es als enorm befriedigend. Dennoch: Mein Herz schlägt für die politischen Institutionen, und die vielen Ermutigungen aus allen Parteien sind mir nah gegangen.

Hat Ihnen das geschmeichelt?
Ja, es hat mich gefreut. Darum musste ich mir das gründlich überlegen. Unser Land mitzugestalten, ist eine faszinierende Aufgabe. Aber ich habe auch viele Bundesrätinnen und Bundesräte nah erlebt und kenne das Preisschild, das an diesem Amt hängt. Das war mir zu hoch.

Berührte Sie der Rücktritt von Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern?
Ich habe es bedauert, weil sie mich mit ihrem Auftreten und ihrer Art im Herzen berührt hat. Wie viele junge Frauen und Mütter konnte auch ich mich mit ihr identifizieren.

Bewundern Sie Arderns Demut vor ihren eigenen Grenzen?
Ja, den von ihr angesprochenen leeren Tank habe ich zwar nie gespürt. Aber ihre Belastung als Premierministerin war sicherlich auch viel höher als meine als Parlamentarierin.

Hat der Rücktritt von Ardern auch mit der jüngeren Generation zu tun, die – wie Sie – viel früher in die Politik geht?
Jedes Jahr kommen alle Alt-Nationalratspräsidenten und Alt-Ständeratspräsidentinnen zusammen. Darunter sind selbstverständlich auch viele ältere Herren. Einige von ihnen meinten, man könne doch nicht mit Anfang 40 zurücktreten, nachdem man immer das Vertrauen der Bevölkerung bekommen habe. Da spürte ich den Generationenunterschied deutlich: Früher war ein politisches Amt oft das Tüpfchen auf dem i nach einer langen beruflichen Karriere. Heute ist das anders. Zusammen mit Toni Brunner und Ursula Wyss konnte ich den Menschen die Augen öffnen, dass es Platz hat im Parlament für junge Menschen. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit, und wir dürfen auf diese Pionierrolle auch ein bisschen stolz sein. Diese Veränderung bringt auch mit sich, dass der Austritt zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen kann. Zu Recht! Wenn ich dabei anderen mit meinem Weg Mut machen kann, freut mich das.

Verwechseln manche Führungspersonen die Wichtigkeit des Amtes mit der ihrer Person?
Leider ja. Mein Glück ist es, dass ich in einem sehr bodenständigen und ehrlichen Umfeld gross wurde. Wenn meine Eltern früher gefragt wurden, ob sie stolz auf ihre berühmte Tochter sind, haben sie jedes Mal geantwortet: Selbstverständlich sind wir sehr stolz – auf alle drei Töchter! Denn es machte keinen Unterschied, ob eine der drei Nationalratspräsidentin war. Diese Werte haben mich geprägt, und ich freue mich, darf ich sie auch an meine eigenen Kinder weitergeben.

Der Artikel der Schweizer Illustrierte

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