«Es hängt nicht alles nur von den Frauen ab»

Medien

Handelszeitung – Tina Fischer –

Henriette Engbersen war SRF-Korrespondentin in London. Nun startet sie eine neue Karriere als Headhunterin in Zürich.

Sie waren fünf Jahre lang in Grossbritannien als Korrespondentin des SRF. Nun kommen Sie zurück in die Schweiz und starten neu als Headhunterin. Warum die Neuausrichtung?

Henriette Engbersen: Ich wechsle vom Journalismus in die Privatwirtschaft und werde Executive Searcherin. Umgangssprachlich Headhunterin. Ich möchte Frauen in Top-Positionen fördern und sie sichtbarer machen. Grossbritannien hat mich inspiriert. Dort merkte ich ab Tag Eins, welchen Unterschied es macht, wenn Frauen in den Medien sichtbar sind.

 

Wie sieht das konkret aus?
Für mich war es ein Eye-Opener, als ich in London ankam und in den Medien, etwa auf BBC, so viele Frauen sah. Expertinnen und Politikerinnen, wie damals Theresa May, Nicola Sturgeon aus Schottland oder die Finanzfrau Gina Miller. Ich habe realisiert, wie ich früher – vor meiner Zeit in London – unbewusst beim Auftritt einer Frau gedacht habe «oh eine Frau, schauen wir mal, wie gut sie ist». Das ist komplett weg. Und: So viele Frauen in Top-Positionen zu sehen hat mich selber in meiner Rolle weiter bestärkt. Sprich, wenn Frauen sichtbarer sind, ändert das etwas.

 

Welche Unterschiede beobachten Sie zwischen britischen und schweizerischen Expertinnen?
In der UK ist es für Frauen, aber auch für Männer,  viel selbstverständlicher, vorne zu stehen, eine Rede zu halten oder Interviews zu geben. In der angelsächsischen Bildung und Kultur wird die Rhetorik, das mündliche Argumentieren, viel früher geschult als hierzulande. Ich glaube das ist mit ein Grund für die Selbstverständlichkeit des Auftretens. Ich möchte mithelfen, dass das Auftreten und das Sichtbarsein für Frauen in der Schweiz ebenfalls mehr zum Selbstläufer wird. Hier in der Schweiz musste ich Frauen oftmals überzeugen, mir ein Interview zu geben; in Grossbritannien haben sie mir genau so oft zugesagt wie die Männer.

 

Sind britische Managerinnen generell mutiger als schweizerische?
Nein, das bestimmt nicht, im Gegenteil. Wenn Frauen in einem männlich geprägten Umfeld auftreten, dann benötigen sie eine dicke Haut. Unabhängig davon fallen uns Dinge im Leben leichter, die wir gelernt haben oder trainieren. Deshalb möchte ich mit meinem neuen Arbeitgeber Workshops gestalten, um die Freude von Auftritten zu vermitteln und um meine persönlichen Erfahrungen weiterzugeben.

 

Oft geben Frauen keine Expertinnenstatements ab, weil sie stärker kritisiert werden als Männer, etwa in Kommentarspalten. Was tun?
Das muss sich ändern und dafür müssen alle am selben Strick ziehen. Zudem bin ich auch hier der Meinung, dass wenn wir genauso viele Frauen wie Männer sehen, die Kritik abnimmt. Ausserdem, wenn Frauen eine Seltenheit sind, wagen sich eher jene hervor, die sackstark sind. Ich habe in Grossbritannien auch Frauen gesehen, die keinen einwandfreien Auftritt hingelegt haben. Genau wie Männer auch. Und das ist gut so. Nur so wächst das Verständnis, dass es nicht immer perfekt sein muss.

 

Welche Tipps geben Sie Schweizer Frauen?
Ich habe kürzlich in einer Weiterbildung zwei Ratschläge gehört, die mir viel gebracht haben: Frauen hinterfragen und kritisieren die eigene Arbeit viel öfter als Männer. Ich mache das auch und empfinde es als anstrengend und habe es bisher als Schwäche gesehen. Doch dieses Hinterfragen kann auch eine Stärke sein. Frauen sollen sich nicht davon ausbremsen lassen und zu viel nachgrübeln. Diese Selbstkritik ist ein gutes Mittel, um bessere Ergebnisse zu erreichen.

 

Und der zweite Tipp?
Wir leben in einem dynamischen Umfeld, Globalisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind einige der zentralen Themen. Die Arbeitswelt und vor allem auch die Führungstile sind im Wandel. Neue Führungsfähigkeiten sind gefragt, dazu gehören mehr emotionale Intelligenz, Kreativität und ein kollegialer Stil. Hier haben Frauen einen Vorteil, denn es sind Aspekte, in denen sie stark sind. Also unsere Sichtweisen und Fähigkeiten sind wertvoller denn je, deshalb hat es sich für Frauen noch nie so sehr gelohnt sich einzubringen.

 

Wie können Frauen stärker auf sich aufmerksam machen?
Es gibt mehrere Aktionen: Expertinnenlisten, wie sie von Medienunternehmen sowie Frauenorganisationen aufgebaut werden, oder die Events, wo Frauenbiografien auf Wikipedia gestellt werden. Es hängt aber nicht alles nur von den Frauen ab. Ein Experte kann beispielsweise auch mal auf eine Expertin verweisen. In Grossbritannien haben sich jetzt nebst des Medienkonzerns BBC auch Universitäten, Unternehmen oder Verbände das Ziel 50-50 gesetzt, sprich genauso vielen Frauen wie Männern Auftritte zu ermöglichen. Das sind alles wichtige Aktionen für die Sichtbarkeit. Und schliesslich hilft es, wenn wir mehr Frauen in führenden Positionen haben.

 

Und wie wollen Sie mit Ihrem neuen Arbeitgeber Frauen in führende Positionen bringen?
Ich bin als Executive Searcherin in erster Linie Ansprechperson für alle, aber will mich in der Rolle für mehr Vielfalt in den Führungsetagen einsetzen und das bedeutet auch mehr Frauen. Es gibt bereits konkrete Ideen wie die erwähnten Workshops, anderes werde ich noch ausarbeiten. Und letztlich darf man nicht vergessen für eine Veränderung sind auch ein Kulturwandel sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig und da braucht es alle: Politik, Konzerne und die Gesellschaft.

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