Diversity ist mehr als ein HR-Programm

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LEADERS im Gespräch mit Irene Mark-Eisenring –

Irene Mark-Eisenring ist Chief Human Resources Officer der Bühler Group mit Hauptsitz in Uzwil.

Der Ostschweizer Technologiekonzern Bühler sieht in Diversität und Inklusion nicht eine lästige Pflicht, sondern eine echte Chance, wie Irene Mark-Eisenring, Chief Human Resources Officer der Bühler Group, darlegt.

Irene Mark-Eisenring, in technologiegetriebenen Unternehmen sieht man Frauen in Bereichen wie Finance, HR oder Kommunikation, bei den Kernkompetenzen finden sich aber noch wenige Kaderfrauen. Machen Sie diese Beobachtung auch?

Noch trifft das auch bei uns zu – und das ist genau das, was wir ändern wollen. Wir möchten auch im klassischen Ingenieurbereich mehr Frauen haben. Klar: In einem Maschinenbaustudium hat es nach wie vor mehr Männer. Aber es gibt viele andere technische Ausbildungen, die für uns auch wichtig sind –  von Ernährungswissenschaften bis IT –, wo der Frauenanteil höher ist. Das wollen wir nutzen.

Ändern wollen Sie das mit dem Programm Diversity and Inclusion – was war für Bühler der Auslöser, diese Initiative 2017 zu starten?
Das ist mit der Zeit gewachsen. Früher nannte man das noch nicht Diversity, aber als Familienunternehmen haben wir seit jeher viel gemacht für die Menschen und für die Gesellschaft. Als vor kaum zehn Jahren das Thema Diversity and Inclusion aufkam, haben wir systematischer nachgedacht, was wir in diesem Feld tun können. Wir sind das dann strukturiert angegangen und haben dem Kind einen Namen gegeben.
Nun gibt es eine entsprechende Vorgabe vom HR.
Nein, denn als HR-Programm würde das nicht funktionieren. Wir vom HR können gewisse Strukturen bereitstellen, aber eine solche Vorgabe muss vor allem vom Business getragen werden. Jede und jeder in der Geschäftsleitung hat Diversity-Vorgaben in den Jahreszielen, diese werden dann runtergebrochen. Wir haben in allen Standorten Leute im HR und im Business, die diese Themen vorantreiben.
Und die Basis hat auch das Verständnis dafür?
Alle tragen das Programm mit, von den Mitarbeitenden bis zur Geschäftsleitung. Wir setzen in den Zielvorgaben auch fest, wie wir kommunizieren, wie wir diese Themen angehen, und wie wir Ziele erreichen. Das immer wieder verständlich zu machen, ist Teil unserer Führungsarbeit.

Bühler ist ein globales Unternehmen – Ihre Initiative wird nicht an allen Standorten die gleiche Wirkung haben.

Die Initiative zeigt überall Wirkung, weil wir die Initiative an Regionen und Länder anpassen. Was für die Schweiz stimmt, muss für China nicht gelten. Dort gilt ein anderes Gesellschaftssystem, ein anderes Rollenverständnis. In China haben wir zum Beispiel überproportional viele Frauen in Kaderpositionen. Gesellschaftlich war es dort immer verankert, dass die Grosseltern die Kinder betreuen. Wir haben aber auch andere Standorte, an denen wir viel weniger Frauen haben als in der Schweiz. Das Ziel, dass wir mehr Diversität wollen, gilt für alle Standorte.

Diese Vorgabe gilt also global.

Ja, und da müssen wir auch Transparenz schaffen und mit Zahlen arbeiten. Wie sieht Diversität überhaupt aus? Die Frage lautet stets gleich: Was brauchen wir, um erfolgreich zu sein? Da kann es an einem Standort auch mal heissen: Wir brauchen mehr ältere, erfahrenere Leute. Wir haben Kennzahlen für alle Standorte, die können als Diskussionsgrundlage dienen, nach der wir Ziele definieren und uns an die Umsetzung machen

Wie reagieren alte Hasen im Business, klassische männliche Maschinenbauingenieure, wenn Sie denen zum Beispiel eine Lebensmitteltechnologin ins Team setzen?

Wenn man mit Leuten arbeitet, die anders sind als man selbst, muss man sich immer anpassen. Das ist keine spezifische Frauen-Männer-Frage, es geht auch um das Zusammenspiel von Jungen und Erfahrenen, von Generalisten und Spezialistinnen. Die Frage ist immer: Welchen Mehrwert bringt diese Person? Welche Problemlösefähigkeiten bringt sie ein? Je nach Aufgabe brauchen wir verschiedene Fähigkeiten, verschiedene Alterskategorien, aber auch Leute, die eher die Strategie sehen und solche, die ein tiefes Fachwissen mitbringen.

Also divers in allen Dimensionen?

Genau das brauchen wir. Die ganze Welt ist komplexer geworden. Je mehr wir aus verschiedenen Blickwinkeln darüber nachdenken, desto belastbarere und kreativere Lösungen bekommen wir. Es geht also um viel mehr als nur um die Diversität der Geschlechter.

Sie ergreifen all diese Massnahmen, weil Sie überzeugt sind, dass der Konzern dann besser performt?

Wir sind ein Unternehmen. Gute Mitarbeitendenprogramme anbieten, einzigartige Karrieren fördern oder unsere weltweit anerkannte Lernendenausbildung – all das können wir nur finanzieren, wenn wir erfolgreich sind. Als über 160-jähriges Unternehmen wissen wir, dass sich langfristige Investitionen auszahlen, auch wenn wir einen langen Atem brauchen.

Viele technologiegetriebene Unternehmen in der Ostschweiz sind noch sehr Männer-geprägt. Auch sie haben durchaus Erfolg.

Und wieso sollte man etwas ändern, wenn man erfolgreich ist? Nun, zumindest weiss man nicht, ob die jeweiligen Unternehmen nicht noch erfolgreicher wären, wenn sie diverser wären. Zum Männeranteil gilt sicher eines: Dort, wo in industriellen Produktionen physisch sehr anspruchsvolle Arbeiten zu verrichten sind, werden nach wie vor hauptsächlich Männer arbeiten. Aber heute ist unsere Produktion sehr viel ergonomischer, wir können auf viele Hilfsmittel zurückgreifen und setzen künstliche Intelligenz ein. Da greift die Geschlechterdiskussion viel zu kurz.

Die Theorie geht davon aus, dass diverse Teams erfolgreicher sind. Können Sie das aus der Praxis bestätigen?

Unsere Erfahrungen zeigen, dass diverse Teams bessere Leistungen liefern, aber sie müssen sehr gut geführt und aufeinander abgestimmt sein.

Entwickeln Männer keine Verlustängste bei so viel Frauen-Förderung?

Nicht, wenn wir aufzeigen, dass dabei alle gewinnen. Auch spezifische Fraueninitiativen helfen letztlich allen, eben weil diese zu besseren Teamleistungen führen.

Ein heikles Thema sind die Löhne: Jedes Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern muss belegen können, dass es den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bezahlen. Das können Sie?

Ja.

Keine Zweifel?

Wir sind hier im grünen Bereich. Und wir werden unsere Instru- mente weiterhin verfeinern, um geschlechterabhängige Differenzen weiterhin frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Wie setzen Sie das Vorhaben, diverser zu werden, konkret um? Rekrutieren Sie anders?

Wir haben viele Initiativen in verschiedensten Bereichen lanciert. Das fängt bei der Rekrutierung an. Wir nutzen andere Medien, schreiben anders aus, interviewen anders, sind flexibler, welche Kandidatinnen und Kandidaten wir an- schauen. Wir haben auch andere Sozialleistungen oder Arbeitsmodelle, die attraktiv sind für Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, etwa der Elternschaft. Wir schauen das in der Entwicklung an, in unserer Führung, aber auch in unserem Lernendensystem.

Was machen Sie bei der Rekrutierung anders?

Das fängt bei kleinen Dingen an, bei der Bildersprache beispielsweise. Haben wir Bilder, auf denen nur Männer im gleichen Alter drauf sind? Oder können wir Diversität schon in den Bildern zeigen, jüngere und ältere Menschen verschiedenen Geschlechts, die international zusammenarbeiten?

Sie wollen also Vorbilder zeigen.

Ich komme gerade von einem Leadership-Training mit unseren Top-100-Führungskräften. Wir haben hier Frauen dabei, die in absoluten Top-Positionen exzellente Arbeit leisten. Wir haben sehr gute Beispiele – aber noch lange nicht genug. Ja, wir brauchen mehr Role Models, Frauen, die zeigen, dass es geht. Es geht nämlich!

Bilder allein machen noch keine andere Rekrutierung.

Wir arbeiten auch an der Sprache, wie Jobs ausgeschrieben werden. Wir wollen attraktiv sein und möglichst viele Leute ansprechen. Dann versuchen wir, bei der Beurteilung der eingegangenen Bewerbungen möglichst neutral zu sein. Menschen neigen dazu, immer die gleichen Persönlichkeitstypen auszuwählen – jene, die uns ähnlich sind.

In vielen Unternehmen wird mit jeder Kaderstufe der Frauenanteil kleiner. Kennen Sie dieses Phänomen auch?

Bei Nominationen für Führungsprogramme schauen wir sehr genau darauf, dass wir einen signifikanten Anteil Frauen haben. Wir schauen auch auf die Balance zwischen jüngeren und älteren Angestellten oder auf die Nationalitäten. Das haben wir in der Hand. Wir achten also darauf, dass wir nicht unbewusst gewisse Gruppen bevorzugen. Wir messen beispielsweise den Anteil Frauen in einem Bereich und pochen darauf, dass prozentual mindestens so viele Frauen befördert werden. Trotzdem gibt es das Problem, dass wir viele Frauen verlieren, weil sie sich mit der Gründung einer Familie entscheiden, weniger oder gar nicht mehr zu arbeiten. Das ist ein gesellschaftliches Problem in der Schweiz.

Auf solche Entscheide haben Sie wenig Einfluss.

Wir arbeiten als Firma daran, flexible Arbeitsmodelle anzubieten, um dem entgegenzuwirken. Aber gerade in der Schweiz reduzieren Männer ihre Erwerbsarbeit noch weniger, die Familienarbeit ist tendenziell noch zu stark in Frauenhand.

Männer nutzen diese Strukturen nicht?
Doch, junge Männer fordern dies immer stärker ein, und auch ältere möchten vermehrt reduzieren. Hier haben wir als Gesellschaft einen Schritt gemacht. Es gibt einen grossen Anteil an Frauen mit sehr guten Ausbildungen oder einem Studium und wunderbaren Karrieren, die sie nicht aufgeben möchten. Das ist eine gesunde Entwicklung.
Die Sie unterstützen wollen.
Persönlich empfehle ich jeder jungen Frau, mit der ich ins Gespräch komme, weiterzuarbeiten, nicht zu stark zu reduzieren – und unabhängig zu bleiben. Ich finde das sehr wichtig. Und ich glaube, in der Schweiz können wir noch sehr viel stärker daran arbeiten. 

Deshalb streuen Sie diese Botschaft auch ausserhalb Ihres Unternehmens?

Wir habe Mitarbeiterinnen aus dem technischen Bereich, die an Schulen gehen, schon an Primarschulen, und von ihren Erfahrungen erzählen. Frauen, die berichten, dass sie an der ETH studiert haben und dass sie mit ihrer Arbeit die Lebensmittel- oder Automobilindustrie mitgestalten. Wir sagen den Jugendlichen auch, dass wir spannende technische Lehrstellen haben. Wir bieten nicht nur das KV an. Und auf höherem Niveau arbeiten wir mit der HSG zusammen, etwa beim Programm Women back to Business. Dort bieten wir Frauen, die nach einer Pause wieder zurückkommen wollen, einen Einstieg.

Gibt es bei Bühler interne Frauennetzwerke?

Ja, wir haben Anfang dieses Jahres das Netzwerk Women@Bühler gegründet. Es zählt derzeit rund 200 Teilnehmerinnen, die jeden Monat zum Erfahrungsaustausch oder für Workshops zusammenkommen. Weiter haben wir regionale Diversity Comitees, in denen Männer und Frauen miteinander Herausforderungen angehen, und ein globales Diversity Comitee, in dem wir jedes Jahr unsere Strategie weiterentwickeln.

Gibt es auch Widerstände gegen Ihre Diversity-Initiative?

Keine Widerstände, aber es dauert lange, bis wir am Ziel sind. Ich möchte den Frauenanteil viel schneller erhöhen, aber hier können wir leider nicht schon nach wenigen Monaten Resultate vorzeigen.Wenn wir heute in Schulen reden, wenn wir jetzt Vorbildern eine Plattform bieten, dann dauert das einige Jahre, bis sich dieser Effekt niederschlägt. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Wir können aber zeigen, dass wir Erfolg haben, weil wir divers sind.

Was halten Sie denn von Quoten als Instrument, um einen solchen Prozess zu beschleunigen?

Ich möchte es ohne Quote probieren. Ich anerkenne, dass eine Quote für gewisse Bereiche nützen kann. Verwaltungsräte in Deutschland, für die es nun eine Quote gibt, werden bald ziemlich anders aussehen. Eine fixe Quote birgt aber auch eine Ausschliesslichkeit. Deshalb wünsche ich mir, dass es ohne geht. Auch ohne Quoten haben wir uns klare Zielvorgaben gesetzt. Wir wissen, wohin wir wollen und wie wir dies schaffen.

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