Im Gespräch – Carole Häusermann & Stephanie Züllig

Talk

Der Verwaltungsrat als Gestaltungsrat der digitalen Transformation?

Stephanie, du bist mehrfache Verwaltungsrätin und bringst Erfahrungen in unterschiedlich grossen Unternehmen mit. Wie hat dich dein Umfeld auf diese Rolle vorbereitet?

Was viele nicht wissen: Ich stamme aus einer Kleinunternehmerfamilie. Daher habe ich das unternehmerische Denken und Handeln in die Wiege gelegt bekommen. In einem Umfeld aufzuwachsen, in dem jeder mitanpackt und in dem sich alle helfen, hat mich daher für mein späteres Leben sehr geprägt.

Von meinen Eltern habe ich zudem den Mut erhalten, einfach mal etwas auszuprobieren. Und dass meine Mutter ebenfalls berufstätig war, hat mein Selbstverständnis untermauert, dass die berufliche Entwicklung und Kinder sich nicht ausschliessen.

Welche ‚game changing‘ Momente der letzten Jahre kannst du mit uns teilen?

In den letzten Jahren gab es einige wichtige Momente für mich. Als ich in die Corporate Welt von Siemens eingestiegen bin, war ich zunächst im kaufmännischen Bereich tätig, bevor ich kaufmännische Geschäftsleitung (CFO) der EMEA-Region wurde. Später folgte die Beförderung zur Gesamtleitung (CEO) der EMEA-Region – dieser Rollenwechsel war ein richtiger „Game Changer“ für mich. Plötzlich erhielt ich mehr unternehmerische Freiheit und konnte internationale Geschäftsmodelle mitentwickeln und -gestalten.

Das Arbeiten im EMEA-Bereich hat mich ebenfalls stark geprägt. So musste ich den Umgang mit Instabilität lernen, beispielsweise in der Zeit des Arabischen Frühlings. Diese verrückten Märkte mit ihren lokalen Eigenheiten und kulturellen Unterschieden haben mich gereizt.

Auch der spätere Wechsel von der Exekutive in die Rolle der Unternehmerin und Verwaltungsrätin war ein „Game Changer“ für mich.

Welche Aufgaben sollte ein Verwaltungsrat übernehmen? Ist der Verwaltungsrat auch ein Gestaltungsrat?

Ja, unbedingt. Neben den bekannten Governance-Aufgaben eines Verwaltungsrats orte ich die Gestaltungsnotwendigkeit insbesondere in folgenden beiden Feldern:

Erstens, der Verwaltungsrat sollte aktiv die Zukunft des Unternehmens mitgestalten. Deshalb ist Offenheit ein wichtiges Thema. Wir müssen bereit sein, andere Perspektiven zuzulassen und ehrlich zu kommunizieren, wenn wir mit etwas nicht zufrieden sind.

Zweitens muss der Verwaltungsrat in seiner Strategiearbeit zur digitalen Transformation ein gutes Verhältnis zwischen „optimize the business“ (aktuelles Geschäftsmodell) und „transform the business“ (neue Geschäftsmodelle) finden. So ist ein Unternehmen laufend gefordert das Tagesgeschäft zu verbessern, in dem es beispielsweise Daten in die Cloud bringt. Gleichzeitig darf es aber das Transformieren nicht vergessen. Meiner Einsicht nach bestehen in der Unterscheidung dieser zwei Wachstumstreiber viele Missverständnisse. Daher ist es wichtig, hierzu ein einheitliches Verständnis zu entwickeln, denn das Kerngeschäft ernährt uns und das neue Geschäft sichert uns die Zukunft.

 

Was sind deiner Meinung nach Herausforderungen, denen viele Unternehmen auf diesem Wege gegenüberstehen?

Die Skalierung!

Unternehmen investieren viel in die Entwicklung verschiedener MVPs, die dann nie auf dem Markt lanciert werden. Somit gehen viele Ressourcen verloren. Im heutigen Markt braucht es mehr Fokus und es dürfen nicht zu viele Projekte auf einmal gestartet werden.

Dies bedingt, wir müssen konsequenter Nein sagen und der „FOMO“ (Fear of Missing Out)“ bewusst begegnen.

Auch ging uns die Beharrlichkeit etwas verloren in den letzten Jahren. Manche Projekte benötigen bis zur erfolgreichen Marklancierung oft hundertprozentiges Engagement oder sogar mehr, da reicht das viel gelobte Pareto-Prinzip nicht immer.

Entscheiden wir uns schliesslich für ein Projekt, so müssen alle involvierten Parteien gemeinsam daran arbeiten. Hier gilt es die Kräfte zu bündeln und neben klaren Messbarkeiten auch die Talent- und Capability Roadmap zu beachten.

Wie schätzt du Schweizer Unternehmen hinsichtlich der Digitalen Transformation ein?

Digitale Transformation heisst nicht, dass wir zu einer «digitalen Unternehmung» werden müssen, sondern dass wir Mehrwerte für das Unternehmen und die Gesellschaft schaffen. Im Verwaltungsrat sollte dieses Thema immer auf der Traktandenliste stehen, denn eine diesbezügliche «Winning Strategy» trägt zur Zukunftssicherung des Unternehmens bei.

Zum heutigen Stand sind wir in der Optimierung gut. Jetzt müssen wir noch mehr transformieren.

Als Verwaltungsrat müssen wir uns mit dieser Thematik auseinandersetzen und auch selbst im Board immer wieder lernen und Kompetenzen erarbeiten. Es ist wichtig, dass wir im Verwaltungsrat die Trends und Technologien mit Relevanz für unser Geschäft kennen und verstehen. Idealerweise erfolgt in strategischer Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung (z.B. über Workshops) eine duale Vorgehensweise mit Fokus auf Digitale Business Optimierung und Digital Business Transformation. Gemeinsam werden strategische Initiativen gewählt, die erstens einen grossen wirtschaftlichen Impact generieren und gesamthaft Wert für das Unternehmen schaffen; also nicht jede organisatorische Einheit verzettelt sich mit vielen kleinen MVP’s. Für die Umsetzung sind ein starkes Leadership mit klaren Messbarkeiten gefordert. Für eine erfolgreiche digitale Transformation ist es wichtig, dass alle Führungskräfte der gleichen Strategie folgen, die gesetzten Prioritäten verstehen und aktiv an einer Talent –und Capability Roadmap arbeiten (Bündelung der Kräfte). Ich bin der Meinung, dass die digitale Transformation ein strategisches Fokus-Thema ist und der Verwaltungsrat hierzu Zeit und Kapazitäten einplanen muss.

Die Welt verändert sich schneller als früher. Was bedeutet dies für die Arbeit des Verwaltungsrates?

In Zeiten vieler Krisen und Unsicherheiten (Pandemie, Lieferketten, …) ist es wichtig nicht nur «Feuer zu löschen», sondern stets den strategischen Überblick zu behalten. Der VR arbeitet mehr und  enger mit dem CEO zusammen, Entscheide müssen schneller gefällt werden. Ferner hat uns Corona gezeigt, wie rasch wir auf radikale Veränderungen reagieren müssen und dies glücklicherweise oft auch können.

Weiterhin  müssen wir noch mehr Augenmerk auf die Bedürfnisse über Generationen hinweg legen. Der Verwaltungsrat sollte den Kontakt mit verschiedenen Altersgruppen, intern wie extern pflegen, und nachhaltige Lösungen in der Strategiearbeit noch mehr integrieren.

Die Arbeitsweise innerhalb von Unternehmen hat sich ebenfalls stark verändert: Während früher viele Firmen sehr hierarchisch organisiert waren, funktioniert das heute nicht mehr optimal. Wir müssen Organisationsformen entwickeln, welche der Geschwindigkeit für z.B. neue Geschäftsmodelle und deren «Time to Market» gerecht werden.

Als Leader müssen wir zudem offener und direkt kommunizieren sowie Mitarbeitende wertschätzen und begeistern. Das heisst für mich als Verwaltungsrätin beispielsweise, dass ich gerne auch an Mitarbeiteranlässen teilnehme und Fragen wie «Was heisst Digitalisierung bei uns in der Firma?» beantworte.

Apropos Verwaltungsrätin: Wie findest du jeweils heraus, zu welchem Unternehmen du passt?

Indem ich mit den Menschen spreche. Im Normalfall spüre ich gut heraus, ob Offenheit und neue Perspektiven zugelassen werden. Aus diesem Grund frage ich mich immer: „Welchen Beitrag kann ich in diesem Unternehmen leisten? Was wäre meine Rolle hier?“ Auch spreche ich mit dem Verwaltungsratspräsident /-in darüber, wo er / sie das Unternehmen in 3 bis 5 Jahren sieht und was es auf dem Weg dorthin braucht. Somit bekomme ich ein besseres Bild, wohin es mit dem Unternehmen geht, und in welchen Bereichen es momentan noch nicht optimal funktioniert

Was bedeutet Responsible Growth für dich?

Responsible Growth bedeutet für mich, nicht nur rein monetäre Ziele zu verfolgen. Mitarbeitende wie auch Kunden müssen mit dem Unternehmen wachsen können. In diesem Punkt braucht es noch mehr Energie und Konsequenz in der Umsetzung.

Was sind die besten Entscheide, die du als Verwaltungsrätin getroffen hast?

Ich komme zurück auf das Thema Skalierung. In diesem Kontext durfte ich eine erfolgreiche M&A Transaktion mitbegleiten. Bei zwei anderen erfolgreichen Entscheiden ging es darum, das Leadership Team mit den richtigen Fähigkeiten und Persönlichkeiten zu verstärken.

Bei welchen Entscheiden würdest du im Nachhinein einen anderen Weg wählen?

Das Thema ‚digitale Transformation‘ würde ich heute mit noch mehr Konsequenz auf die Traktandenliste des Verwaltungsrats setzen.

Auch würde ich vermehrt strukturierte und konstruktive Feedbacks unter den Mitgliedern im Verwaltungsrat begrüssen. Dies schweisst zusammen.

 

Wo schöpfst du in schwierigen Zeiten deine Energie?

Ich brauche verschiedene «Zapfsäulen». Vor allem hole ich mir Inspiration in Gesprächen mit engagierten Personen, wie beispielsweise dem heutigen Dialog. Viele Menschen suchen gerne bestätigende Meinungen, ich denke oft „weshalb denkt diese Person anders als ich“?

Ich habe auch gelernt zu erkennen, dass ich regelmässig Auszeiten brauche. Daher sieht mein Kalender fixe Blocker für Erholungszeiten in der Natur vor.

Eine letzte Frage: Wenn du Zauberkräfte hättest, wofür würdest du diese einsetzen?

Spannende Frage (überlegt kurz und Blick geht nach oben). Ich würde veranlassen, dass Entscheide stets die generationenübergreifende Perspektive beinhalten. Unser heutiges Handeln sollte verstärkt den Bedürfnissen der Zukunft und kommenden Generationen standhalten.

Denn wenn wir dies schaffen, dann können wir auch die nächsten Krisen meistern. Und dann komme ich gerne zurück, um über die neuen Herausforderungen zu diskutieren.

Liebe Stephanie, herzlichen Dank für den zukunftsweisenden Gedankenaustausch. Wir wünschen dir weiterhin viel Energie zur Stärkung der digitalen Transformation, mutige generationen-übergreifende Entscheide und skalierte Markterfolge.

Mehr Informationen zu Stephanie Züllig finden Sie hier. Unter Insights finden sich weitere spannende Interviews mit inspirierenden Unternehmer*innen. 
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