Sonntagszeitung – Martina Frei
Schwindel zählt zu den häufigsten Beschwerden, derentwegen Menschen ärztliche Hilfe suchen. Diese Tipps helfen, um die Ursache schneller herauszufinden und ihn loszuwerden.
Es dreht. Es schwankt. Es ist ein Gefühl wie im Lift. Wie leicht benommen. Oder wie auf Watte. Auf der Liste der häufigsten Beschwerden, derentwegen Menschen hausärztliche Hilfe suchen, rangiert Schwindel je nach Studie auf Platz 2, 3 oder 6. Wobei unter Schwindel nicht alle das Gleiche verstehen.
Die Beschwerden möglichst gut zu beschreiben, ohne dabei die Worte «Schwindel» oder «schwindelig» zu gebrauchen, ist der erste Schritt, um den Schwindel richtig zu behandeln. Um der Ursache auf die Spur zu kommen, genügen in etwa drei von vier Fällen ein ärztliches Gespräch und eine körperliche Untersuchung. «Die zielgerichtete Befragung des Kranken ist extrem wichtig», sagt Dominik Straumann, der Leiter des Zentrums für Schwindel und neurologische Sehstörungen am Universitätsspital Zürich.
«Schwindel ist keine Krankheit, sondern ein Symptom», sagt Dominik Straumann. Im Normalfall laufen die Signale vom Gleichgewichtsorgan im Innenohr, vom Auge, vom Ohr und von den Muskelrezeptoren in Muskeln und Gelenken im Gehirn zusammen. Das Gehirn kombiniert alle Informationen und erkennt, ob der Körper im Gleichgewicht ist.
«Klemmt» es an einer Stelle – das kann auch im Gehirn sein –, dann stimmen die Informationen zur Lage im Raum – also ob jemand steht, liegt, sich bewegt – nicht mehr überein. Gründe dafür gibt es Dutzende: Vorübergehende virale Entzündungen des Gleichgewichtsnervs, eine neue Brille, Migräne, Blutarmut, Medikamenten-Nebenwirkungen, Blutdruckschwankungen … Eine Schwindel-App kann die Betroffenen darin unterstützen, die Ursache ihrer Gleichgewichtsstörungen zu finden. «Das Wichtigste ist, zu erkennen, ob der Schwindel eine gefährliche Ursache hat, bei der man sofort eine Behandlung braucht, oder nicht», sagt Straumann. Das sei selbst für Ärztinnen und Ärzte nicht immer einfach.
In etwa 5 bis 15 Prozent der Fälle ist eine ernste Erkrankung der Grund für den Schwindel, dazu zählen beispielsweise ein Schlaganfall, eine Hirnblutung oder Herzrhythmusstörungen. «Wenn ein akut einsetzender Schwindel andauert und womöglich von Übelkeit oder Erbrechen begleitet wird, sollte man rasch medizinische Hilfe holen. Im Zweifelsfall begibt man sich so schnell wie möglich auf den Notfall», empfiehlt Dominik Straumann. Weitere Alarmzeichen sind Gefühlsstörungen, Bewusstlosigkeit, Sprachstörungen, Probleme beim Schlucken, Hörstörungen, Lähmungen oder starke Kopf- oder Gesichtsschmerzen.
Etwa drei von vier Menschen mit akut einsetzendem Schwindel haben einen «gutartigen Lagerungsschwindel». Er heisst so, weil keine gefährliche Krankheit dahintersteckt, sondern lediglich eine Ansammlung winziger Kristalle im hinteren Teil des Innenohrs. Sie verwirren den Gleichgewichtssinn. Nach dem Drehen im Bett, bei bestimmten Kopfbewegungen oder bei anderen Lagewechseln wird es den Betroffenen kurzzeitig «sturm»: Alles dreht sich. Etwa 30 Sekunden später ist der Spuk vorbei – um bei der nächsten Lageänderung prompt wieder aufzutreten.
Meist kommt dieser Schwindel aus heiterem Himmel, seltener nach längerer Bettlägerigkeit oder dem Anschlagen des Kopfs. Bis zu 90 Prozent der Betroffenen sind nach wenigen Übungen beschwerdefrei. Am bewährtesten sind das Sémont– und das Epley-Manöver, Anleitungen findet man im Internet.
Es schwindelt mal mehr, mal weniger, im Stehen und beim Gehen, dazu gesellt sich ein Gefühl der Benommenheit – aber die Ärztin findet keine körperliche Ursache. So geht es etwa einem von fünf Betroffenen.
Oft treten die Beschwerden in bestimmten Momenten stärker zutage, sodass die Personen beginnen, diese Situationen zu vermeiden. Beim Sport und nach etwas Alkoholkonsum hingegen bessert sich dieser Schwindel.
Das Gute an diesem «funktionellen» oder «psychogenen» Schwindel ist: Bei mehr als 70 Prozent der Patienten und Patientinnen bessern sich die Beschwerden bei richtiger Behandlung. Dazu zählen regelmässiger Sport und, wenn nötig, eine Verhaltenstherapie, um das Vertrauen in den eigenen Körper zu stärken und nicht permanent in sich «hineinzuhorchen». Oft beginnt dieser Schwindel in einer stressigen Lebensphase, bei einer Erkältung oder einer anderen Erkrankung.
Ab dem 75. Lebensjahr ist Schwindel das häufigste Symptom überhaupt. Der Grund für den Altersschwindel ist meist eine Kombination mehrerer Faktoren. Störungen des Gleichgewichtssinns im Innenohr, des Sehens, der Nervenleitung von den Füssen und der Hirndurchblutung, die Angst, zu stürzen, aber auch Medikamente wie Blutdrucksenker, Beruhigungsmittel, Antidepressiva und andere mehr können zum Schwindel beitragen.
«Ein tiefer Blick in die Augen» liefert oft mehr Erkenntnisse als eine Untersuchung im Computertomografen oder im MRI, heisst es in einem Fachartikel im «Swiss Medical Forum» (SMF). Häufig sind beim Schwindel bei genauem Hinschauen nämlich ruckartige Augenbewegungen erkennbar, die der Ärztin wichtige Hinweise liefern.
Zur Untersuchung bei der Hausärztin gehört unter anderem das Prüfen des Gleichgewichtssinns, der Augenposition und Sehschärfe bei Kopfbewegungen sowie das Blutdruckmessen in verschiedenen Körperpositionen.
Die «Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin» rät, nicht gleich ein MRI oder ein Computertomogramm (CT) zu machen, denn «es müssten […] rund 10’000 CTs gemacht werden, um einen Tumor als Ursache zu finden», wenn Schwindel das einzige Symptom ist. Häufiger als ein Hirntumor sind Herzrhythmusstörungen, die sich mit einem EKG feststellen lassen. Nur bei einem Verdacht auf gefährlichen Schwindel ist rasch ein CT oder ein MRI wichtig.
Wenn die gezielte Gleichgewichtsuntersuchung nichts Auffälliges ergebe, lohne sich eine apparative Untersuchung in den allermeisten Fällen nicht, sagt auch Dominik Straumann. Führt die Untersuchung bei der Hausärztin zu keiner Diagnose, kommen Spezialisten wie die am Zentrum für Schwindel und neurologische Sehstörungen des USZ zum Zug. Dort arbeiten Neurologen, Augenärztinnen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Physiotherapeuten und Psychiater zusammen. Die Untersuchungen dort können zwei bis drei Stunden dauern. Sie umfassen unter anderem Videoaufzeichnungen der Augenbewegungen, Tests auf einem Drehstuhl, Gleichgewichtsmessung und andere Spezialuntersuchungen.
Was gegen den Schwindel hilft, hängt von der Ursache ab. Lässt sie sich nicht beheben, «dann ist die wichtigste Behandlung die Gleichgewichts-Physiotherapie. Und zwar eine, bei der der Patient möglicherweise auf die Physiotherapeutin ‹hässig› wird», sagt Dominik Straumann. Bei der sogenannten vestibulären Physiotherapie gehe es darum, den Schwindel immer wieder hervorzurufen. Dank der Gleichgewichtsübungen (einige Übungen findet man im Internet) arrangiert sich der Körper besser mit dem Schwindel, sodass die Betroffenen ihn als weniger störend empfinden und sich wieder mehr zutrauen. Anti-Schwindel-Medikamente zögern diese «Anpassung» an den Schwindel hinaus, deshalb sollte man sie höchstens einige Tage lang einnehmen. Rührt der Schwindel vom Nacken her, kann manuelle Therapie, Massage, Physiotherapie oder Chiropraktik guttun.
Foto: Anna Berkut