Tagesanzeiger – Gabriela Beck –
Recycelter Plastikmüll könnte den Strassenbau einfacher und nachhaltiger machen – wären da nicht noch ein paar Probleme.
Konventioneller Strassenbau ist schwere Arbeit, laut und schmutzig. Bevor der Verkehr rollen kann, muss der Untergrund mit Tonnen von Sand, Splitt, Schotter und Asphalt vorbereitet werden.
Die neue Fahrbahn muss den Belastungen von Autos und Lastwagen über Jahrzehnte standhalten und dabei möglichst wenig aus der Form geraten. Jedes Kabel und jedes Rohr muss sorgfältig eingeplant werden. Jede Änderung bedeutet massive Grabungsarbeiten und eine neue Baustelle.
Mit vorgefertigten Modulen aus recyceltem Kunststoff verspricht das niederländische Start-up Plasticroad einen viel schnelleren und einfacheren Strassenbau. Wie Fertigparkett lassen sich Strassenabschnitte mit dem neuartigen System zusammensetzen. Schweres Fundament und aufwendige Aushubarbeiten sind nicht nötig. Die relativ leichten Elemente aus Plastikgranulat können in einem einfachen Sandbett verlegt werden. Ausserdem ist im Inneren der Module ein Hohlraum für alle nötigen Leitungen integriert, ähnlich wie in manchen Wänden des modernen Fertighausbaus.
Die vorgefertigte Struktur mache nicht nur den Bau, sondern auch die Instandhaltung von Strassenzügen einfacher, da der Zugang in die Fahrbahn simpler werde, beschreibt Produktentwickler Anne Koudstaal von Plasticroad die Vorteile des Konzepts.
Das Plastikgranulat, aus dem die Strassenmodule gefertigt werden, besteht aus Recyclingkunststoff. Anstatt bei der Abfallverbrennung das umweltschädliche Treibhausgas CO₂ freizusetzen, finden Joghurtbecher, Flaschenverschlüsse oder Strohhalme klein geschreddert als Teil einer Strasse eine neue Verwendung. Werden einzelne Module ausgetauscht, können sie recycelt und zu hundert Prozent als Rohmaterial zu neuen Strassenelementen verarbeitet werden – ohne den Einsatz neuer Materialien und ohne Abfall zu verursachen.
Angesichts des weltweiten Plastikmüllproblems klingt die Idee, recycelten Kunststoff in Strassen wiederzuverwerten, verlockend. Sie ist aber nicht ganz neu. In der Grafschaft Cumbria im Nordwesten von England wird der Einsatz von Plastik bei der Reparatur von Strassen getestet. In Teilen Indiens ist dies seit 2015 sogar Pflicht. Dabei wird jedoch nicht die ganze Strasse aus Plastik gebaut, recycelter Kunststoff ersetzt nur einen kleinen Teil des Bitumens, der im Asphalt als Bindemittel dient.
Es gibt Einwände gegen den Einsatz von Plastik im Strassenbau. So befürchten Umweltfachleute, dass sich mikrokleine Plastikstückchen durch Abrieb von der Strasse in der Umwelt verteilen und das jeweilige Ökosystem langfristig belasten könnten. Bei dem System von Plasticroad wird der Abrieb durch eine Beschichtung verhindert, die das Material auch gleich vor Alterungsprozessen durch UV-Strahlung schützt.
Und die neuartige Modulstrasse kann noch mehr: Dank des Hohlraums in ihrem Inneren dient sie auch als Regenwasserspeicher und könnte damit im Hinblick auf die von Klimaexperten prognostizierten zunehmenden Starkregen in Europa ein wertvoller Bestandteil nachhaltiger städtischer Infrastruktur werden. Die bestehenden Kanalabwassersysteme sind nicht für solch grosse Wassermengen dimensioniert. Die Folge: Überschwemmungen und stehendes Wasser auf den Strassen. Die Module von Plasticroad fangen das Wasser dagegen in ihrem Inneren auf und leiten es langsam und kontrolliert in den Boden ab.
Foto: Plasticroad