Sarah Ineichen hilft Adoptierten bei der Herkunftssuche in Sri Lanka

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watson.ch – Annika Bangerter 

Mit ihrer Organisation «Back to the Roots» unterstützt Sarah Ineichen Adoptierte aus Sri Lanka. Sie kritisiert, dass die Hilfe der Behörden bei der Herkunftssuche nicht wirkungsvoll sei. Und sagt, was es stattdessen bräuchte.

Der Bundesrat will künftig internationale Adoptionen verbieten lassen. Dies, weil selbst bei einem strengen Adoptionsrecht Missbräuche nicht auszuschliessen seien, wie Justizminister Beat Jans gegenüber den Medien sagte. Und: Die Fehler der Vergangenheit dürften sich nicht wiederholen. Er bezog sich dabei auf das systematische Behördenversagen in der Schweiz und die irregulären Praktiken bis hin zu Kinderhandel im Ausland.

Viele dieser Kinder, die insbesondere in den 1980er- und 1990er-Jahren in die Schweiz kamen, suchen heute ihre leiblichen Eltern. Oft ohne Erfolg. Sarah Ineichen, Präsidentin der Betroffenenorganisation «Back to the Roots», weiss, was das auslöst.

Sie haben vor sieben Jahren als eine der Ersten auf eine missbräuchliche Praxis bei den internationalen Adoptionen hingewiesen. Nun will der Bundesrat diese stoppen. Was löst das bei Ihnen aus?
Sarah Ineichen: Dieser Entscheid ist für mich eine Anerkennung des geschehenen Unrechts. Es ist ein wichtiges Zeichen. Gleichzeitig müssen die Zahlen in den Blick genommen werden. Die internationalen Adoptionen sind stark rückläufig. Pro Jahr reisen nur noch rund dreissig Kinder für eine Adoption in die Schweiz ein. In der Vergangenheit wurden jedoch Tausende von Kindern aus der ganzen Welt hierzulande adoptiert. Viele davon unter illegalen oder rechtswidrigen Umständen. Diese Betroffenen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Die Zeit läuft gegen sie: Je länger die Schweiz mit ihrer Hilfe bei der Herkunftssuche wartet, umso weniger bringt sie etwas. Dann sind nämlich die Mehrzahl der Mütter gestorben.

Mit ihrer Betroffenenorganisation «Back to the Roots» helfen Sie Adoptierten aus Sri Lanka, mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Wie viele finden ihre leiblichen Eltern?
In den vergangenen Jahren haben uns Tausende Anfragen von Betroffenen erreicht. Im Rahmen des Pilotprojekts – finanziert durch Bund und Kantone – konnten wir 82 Adoptierte engmaschig bei ihrer Herkunftssuche betreuen. Nur 5 Prozent von ihnen fanden ihre biologische Kernfamilie, was ein DNA-Test bestätigte. Bei den anderen fanden wir zur Hälfte niemanden. Ihre Personalien sind weder als Geburt noch als Todesfall registriert. Bei den anderen konnten wir zwar die angebliche Herkunftsfamilie ausfindig machen. Doch der DNA-Test war negativ. Vermutlich hatte eine Schauspielmutter unter ihrem Namen ein ihr unbekanntes Kind gegen ein geringes Entgelt zur Adoption aufgegeben. Das kam in Sri Lanka in den 1980er-Jahren oft vor.​

Die allermeisten stehen also vor dem Nichts?
Ja, deshalb erklären wir den Adoptierten gleich zu Beginn, dass nicht alle, die suchen, auch finden. Wir empfehlen den Betroffenen deshalb, sich an eine psychologische Fachperson zu wenden. Eine Adoption ist ein frühkindliches Trauma. Noch schwerer ist es, eine Adoption zu verarbeiten, wenn die Einverständniserklärung der Mutter nicht vorlag, das Geburtsdatum oder gar das Geschlecht unterschiedlich in den Dokumenten vermerkt wurden oder gar Korrespondenz zur Babybestellung inklusive Quittung auftaucht.​

Sie haben Quittungen gefunden?
Ja, wir sahen zahlreiche Dossiers mit Zahlungsbelegen. Durch unsere Arbeit stellten wir fest, dass die aufschlussreichsten Unterlagen nicht bei den Schweizer Behörden archiviert sind, sondern bei den Adoptiveltern liegen.​

Die Kantone sind verpflichtet, Adoptierte bei der Herkunftssuche zu unterstützen. Weshalb braucht es dann «Back to the Roots»?
Weil die Unterstützung der Behörden für die Betroffenen nicht wirkungsvoll ist. Zwar können diese über das Bundesamt für Justiz und die Zentralbehörde in Sri Lanka einen Suchauftrag lancieren. Doch bei Letzterer liegen Hunderte von Dossiers mit Anfragen aus der ganzen Welt. Den sri-lankischen Behörden fehlen die Ressourcen, aber auch das Vertrauen in der Bevölkerung.​

Woran machen Sie das fest?
Wir hatten Fälle – darunter aus den Kantonen Zürich und Bern, die immer wieder behaupten, sie hätten die Herkunftssuche im Griff -, die zwischen vier und fünf Jahre offen waren, bis die Behörden den Betroffenen schriftlich mitteilten, dass sie die Suche einstellen würden. Dies, weil sie ergebnislos gewesen war. Die Betroffenen wandten sich danach an uns. Innerhalb von einigen Monaten fanden wir jene Frauen, die gemäss den Geburtsurkunden die Mütter hätten sein sollen.​

Wie gelang das?
Wir suchen vor Ort. Wir haben ein Team in Sri Lanka, welches die Originaldokumente der Betroffenen sichtet. Darauf stehen teilweise andere Angaben als in den Unterlagen der Adoptierten. Danach beginnt die Detektivarbeit, die viel Sorgfalt verlangt. Sie beginnt jeweils mit einem Besuch im entsprechenden Spital, um die Geburt zu überprüfen. Alle vorhandenen oder rekonstruierbaren Adressen werden anschliessend abgeklappert, um an weitere Hinweise zu gelangen. Viel findet in vertrauensvollen Gesprächen statt. Wir haben festgestellt, dass die Menschen in Sri Lanka mehr Vertrauen in eine Betroffenenorganisation haben als in Behördenvertreter.​

Wie zeigt sich das?
In einem Fall stand beispielsweise ein amtlicher Vertreter bloss zwei Häuser von der richtigen Adresse entfernt. Die Nachbarn klärten ihn jedoch nicht über die Verwechslung auf. Unserem Team hingegen halfen sie und zeigten das richtige Haus. In einem anderen Fall fragte unser Team sich von Dorf zu Dorf nach der angeblichen Mutter durch – und fand sie tatsächlich.​

Was geschieht, wenn die gesuchte Frau gefunden ist?
Dann organisieren wir einen DNA-Test. Auch das unterscheidet sich vom Ablauf der Kantone. Diese händigen jeweils die Kontakte aus, ohne die genetische Verwandtschaft zu überprüfen. In einem uns bekannten Fall haben die Behörden der adoptierten Person eine falsche Mutter hingestellt. Ein zentrales Problem ist, dass die Suchabläufe der Behörden unter der Annahme funktionieren, dass es sich um eine legale Adoption handelt. Leider zeigen die wissenschaftlichen Untersuchungen und unsere Erfahrungen, dass diese in der Minderzahl sind. Für uns gilt deshalb, dass wir keine Zusammenführungen ohne eine vorgängige genetische Bestätigung organisieren.

«Back to the Roots» ist auf Sri Lanka spezialisiert. Lässt sich das Projekt auf andere Länder ummünzen?
Ja, das hat auch eine externe Analyse bestätigt, welche unser Pilotprojekt untersuchte. Natürlich können wir nicht in jedem Herkunftsland selbst suchen. Aber wir können die Betroffenen bei der Auseinandersetzung mit ihrer Adoptionsgeschichte und ihrem Suchprozess unterstützen. Zudem sind wir international gut mit anderen Betroffenenorganisationen vernetzt und könnten sie punktuell für eine Suche vor Ort weiterverweisen.​

Weshalb wird das Pilotprojekt dann nicht ausgebaut?
Die Kantone sind per Gesetz zur Unterstützung bei der Herkunftssuche verpflichtet. Es gäbe aber rechtliche Möglichkeiten, dass die Kantone dies delegieren könnten. Aber niemand will ein solch umfassendes Projekt finanzieren. Auch weil sehr starke Kantone wie Zürich oder Bern sagen, sie würden es selbst schaffen.​

Weshalb spricht nicht der Bund die Gelder?
Das wollte er, doch der Ständerat hat den Vorschlag abgelehnt, weil er die Kantone als zuständig erachtet. Wir befinden uns daher in einer Pattsituation. Kürzlich gaben vierzehn Kantone bekannt, eine Plattform für die Herkunftssuchenden schaffen zu wollen. Sie müssen schnellstmöglich wirkungsvolle Massnahmen sprechen. Dass wir aber unsere leiblichen Eltern nicht finden, liegt an einem staatlichen Versagen. Das ist nicht ein kantonales Problem, sondern ein Problem der Schweiz.​

Zu Beginn Ihres Engagements haben Sie uns in einem Interview von Ihrer persönlichen Suche erzählt – wie Sie auf eine Schauspielmutter und auf eine Gleichaltrige mit demselben sri-lankischen Pass wie dem Ihrigen trafen. Haben Sie inzwischen Ihre Mutter gefunden?
Nein, ich habe immer noch keine Hinweise auf meine biologische Mutter. Aber ich bin in sämtlichen DNA-Datenbanken registriert. Dadurch gab es einen Treffer mit einer Frau, mit der ich dieselbe Urgrossmutter teile. Sie betreibt Ahnenforschung und verfügt über einen grossen Stammbaum und viele Fotos. Sie, und somit auch ich, stammt aus einer Familie, die so gar nicht zum Klischee eines Adoptivkindes passt.​

Wie meinen Sie das?
Wir bekommen immer die Geschichte erzählt, man hätte uns aus der Armut gerettet. Ich komme jedoch aus einer sehr reichen Familie, deren Nachkommen rund um die Welt leben. Auf einem der Fotos sah ich, wie meine Urgrosseltern in einer Kutsche vor ihrer riesigen Villa am Strand sassen.​

Können Sie mittels des Stammbaums auf Ihre engen Angehörigen schliessen?
Nein, meine Urgrosseltern hatten acht Kinder. Es ist folglich eine riesige Familie. Ich weiss nur, dass mein Vater dazu gehört. Aufgrund der Chromosomen muss es ein Mann sein. Um ihn einzugrenzen, müsste ich systematisch mit DNA-Tests vorgehen. Ich nehme aber an, dass mein Vater nicht einmal weiss, dass es mich gibt. Obwohl die Familie sehr offen ist und zum Teil «Back to the Roots» mit Spenden unterstützt, weiss niemand etwas.​

Weshalb suchen Sie ihn mit den DNA-Tests nicht weiter?
Mit der Gründung von «Back to the Roots» musste ich mich entscheiden, ob ich meine gesamte Energie in meine persönliche Herkunftssuche oder ins grosse Ganze investiere. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Dass ich zumindest Verwandte gefunden habe, gab mir eine grosse innere Ruhe. Auch die optische Ähnlichkeit zu einigen von ihnen gab mir ein Zugehörigkeitsgefühl.

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Bild: Watson/Keystone

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