Psychische Störungen bei Jugendlichen nehmen in bedenklichem Mass zu. Besonders besorgniserregend: 75 Prozent der psychischen Störungen beginnen vor dem 25. Lebensjahr. Daten des Krankenkassenverbandes santésuisse zeigen, dass psychische Leiden bei jungen Frauen zwischen 11 und 18 Jahren mittlerweile 20 Prozent der Gesundheitskosten ausmachen. Bei jungen Männern sind es rund 14 Prozent (gesamte Schweiz: 6 Prozent). Markus Renevey vom Swiss Resilience Hub bestätigt: «In der Schweiz gibt es immer mehr Jugendliche, die unter psychischen Belastungen leiden.» Insofern sei es wenig überraschend, dass lediglich 41 Prozent der Lehrverhältnisse unproblematisch verlaufen. Bei über 26 Prozent der Ausbildungen gibt es ernsthafte Schwierigkeiten, Tendenz steigend.
VUKA, Multikrisen und überforderte Eltern
Der Experte nennt mehrere Gründe für die Zunahme psychischer Probleme wie Angststörungen und Depressionen bei Jugendlichen. «Die Entwicklung von jungen Menschen ist grundsätzlich geprägt von Unsicherheit, inneren und äusseren Konflikten und der Suche nach der eigenen Identität», erläutert er. Das gehöre zur Entwicklung dazu und sei normal. «Allerdings sind die Jugendlichen von heute mit einer viel herausfordernderen Welt konfrontiert als frühere Generationen – das Heute ist geprägt von Multikrisen wie Kriegen, einer generell unsicheren politischen Lage sowie rasanten technologischen Veränderungen», sagt der Experte. So es sei nicht nur für die Heranwachsenden schwierig, mit dieser VUKA-Welt umzugehen – also einer Welt, die volatil, unsicher, komplex und ambivalent ist – sondern auch für Eltern und Bezugspersonen, was sich wiederum auf die Jugendlichen auswirkt. Da viele Erwachsene selbst überfordert seien, können sie der jüngeren Generation nicht die notwendige Stabilität und Sicherheit bieten, erklärt Renevey. «Sie sind verunsichert und erleben eine Vertrauenskrise verstärkt durch Fake News, KI und die Gefahrenpotenziale im Internet und den sozialen Medien. Diese Verunsicherung überträgt sich auf die Jugendlichen», so der Experte. Wenn die Eltern selbst desorientiert sind, kann das dysfunktionale Verhaltensweisen begünstigen. «Dann wird entweder versucht, das Kind komplett von jeglicher Gefahr abzuschirmen respektive zu überbehüten, oder sie überlassen das Kind sich selbst.»
Die Macht der sozialen Medien und Auswirkungen auf den Lehrbetrieb
Markus Renevey betont auch die immense Verführungskraft sozialer Medien wie TikTok oder Instagram, die als Suchtmittel zu Alkohol, Haschisch und Ähnlichem hinzugekommen seien. Jugendliche würden durchschnittlich 4,5 Stunden täglich in sozialen Netzwerken verbringen, wo sie sich mit anderen vergleichen – das führe zu negativen Selbstbewertungen und erhöhe die Verunsicherung. Auf der Suche nach Anerkennung erleben sie auch oft Enttäuschungen, wenn diese ausbleibe. Das Suchtpotenzial von Instagram & Co. erschwere zudem die Selbstkontrolle. «Nicht ständig aufs Handy zu schauen, fällt vielen schwer. Die Suche nach der sofortigen Bedürfnisbefriedigung behindert die Impulsregulierung», so Renevey. Die ständige Ablenkung führe schliesslich zu einer verringerten Aufmerksamkeitsspanne, was sich auf die Arbeit und den Lehrbetrieb auswirke: «In der Konsequenz kann die Fähigkeit, an etwas dranzubleiben, sinken.» Bei vielen Jugendlichen beobachtet Renevey auch eine verringerte Frustrationstoleranz und tiefe Stressresistenz als Folge davon, dass ihnen wichtige Erfahrungen damit und Grenzen durch die Erwachsenen fehlten. Lehrbetriebe stelle dies vor teils grosse Herausforderungen. Denn solche Lernenden seien weniger beharrlich, weniger konflikt- und teamfähig, geraten schneller in Krisen und brauchen länger, um diese zu überwinden.
Resilienz fördern, Selbstkompetenz stärken
In Anbetracht dieser Erkenntnisse ist es Markus Renevey ein Anliegen, dass Jugendliche während ihrer Lehre in Bezug auf Resilienz unterstützt werden. Entsprechend bietet der Swiss Resilence Hub ein Präventionsprogramm für jugendliche Lernende und Lehrbetriebe an, das auf vier Säulen aufbaut und bei dem «die Jugendlichen in ihrer Selbstkompetenz und Resilienz gestärkt werden, um künftige Krisen zu meistern», so Renevey. Während das Programm für jeden Lehrbetrieb individuell erstellt werden kann, sind die vier Säulen wichtig zu berücksichtigen.
- Säule 1: Sensibilisieren: Jugendliche werden zuerst darauf sensibilisiert, was Resilienz überhaupt ist. «Es geht nicht darum, immer stark und souverän sein zu müssen, sondern nach Rückschlägen und Krisen wieder aufzustehen», sagt Markus Renevey. Der zweite, wichtige Aspekt der Resilienz sei, aus Krisen zu lernen. «Wer aus einer Krise lernt, gerät beim nächsten Mal nicht wieder so schnell hinein – und auch nicht mehr so tief und intensiv.»
- Säulen 2 und 3: Involvieren und Aktivieren: Bei der Gestaltung des Resilienzprogramms werden die Jugendlichen aktiv einbezogen. «Für eine Grossbank zum Beispiel haben wir ein Programm entworfen, bei dem die Lernenden Podcasts zu den Themen Resilienz, mentale Gesundheit und Selbstführung erstellen sollen», erläutert der Experte. «Dabei übernehmen sie sämtliche Schritte von der Idee über die Planung bis zur Durchführung und agieren in verschiedenen Rollen.» Indem die Lernenden nicht nur konzeptionell arbeiten, sondern eine aktive Rolle bei der Durchführung spielen und praktische Erfahrungen sammeln würden, bauen sie sich ein breites fachliches Fundament auf.
- Säule 4: Multiplikation: Nach der Ausbildung schliesslich geben die Jugendlichen ihr Wissen weiter, indem sie Resilienzbotschafterinnen und -botschafter werden und zum Beispiel eine Community aufbauen, in welcher Resilienz und verwandte Themen diskutiert werden. Dies kann über soziale Medien, Vereine oder Sportclubs geschehen. So werden die Jugendlichen zu Multiplikatoren. Dazu Renevey: «So agieren sie selbst als Expertinnen und Experten und schulen etwa die nächste Generation von Lernenden oder andere Abteilungen in der Organisation.»
Nutzen für Betriebe und Jugendliche
Für die Betriebe ergibt sich ein klarer Return on Investment: Resiliente Jugendliche sind produktiver, zufriedener und übernehmen mehr Selbstverantwortung. Dies spart Kosten und stärkt die Reputation des Unternehmens. Für die Jugendlichen bedeutet das Programm eine wichtige Unterstützung in ihrer Entwicklung, wobei sie lernen, wie sie mit Druck, Stress und Überforderung umgehen können.