News-Pausen sind wichtig für den Selbstschutz

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annabelle – Celina Euchner – Immer mehr Menschen meiden die News. Dr. Anne Schulz, Kommunikationswissenschaftlerin an der Uni Zürich, erforscht, wie es dazu kommt – und erklärt, wie man informiert bleibt, ohne sich zu überfordern.

annabelle: Die Welt brennt, es herrscht mehr Krieg denn je, Donald Trump, ein verurteilter Straftäter, ist wieder US-Präsident. Einige wollen das nicht sehen und schalten ab. Warum?
Anne Schulz: Viele nehmen die Krisen unserer Zeit gerade sehr stark wahr – ob es geopolitische Konflikte sind, die sich zuspitzen, oder Ereignisse, die plötzlich und unerwartet eintreten. Das ständige Hinschauen kann zu einer Art Erschöpfung führen.

Diese Erschöpfung führt dann zum Wegschauen?
Ja, das Gefühl, dass sich die Lage stetig verschlechtert und man nichts dagegen tun kann, löst oft Ohnmacht aus. Die Probleme erscheinen – und sind ja oft auch – zu gross, um sie selbst zu beeinflussen. Eine Mischung aus Empathie mit Betroffenen und dieser Handlungsohnmacht überfordert viele, weshalb sie sich bewusst abwenden, um sich vor der emotionalen Belastung zu schützen.

Wie viele Personen wenden sich hierzulande von den News ab?
In der Schweiz vermeiden laut unseren Untersuchungen rund 30 Prozent der Menschen, die eigentlich regelmässig konsumieren, zeitweise bewusst Nachrichten. Das heisst: Sie blenden bestimmte Themen aus oder pausieren den Newskonsum zum Beispiel für ein paar Tage komplett.

Wie setzen die Menschen das konkret um, wenn sie sich entscheiden, Nachrichten zeitweise zu vermeiden?
Sie selektieren Themen und sagen zum Beispiel: Alles über Donald Trump klicke ich nicht mehr an. Oder sie schauen zeitlich begrenzt weg. Sie fahren über das Wochenende in die Berge und machen vorher mit sich aus: Da konsumiere ich gar keine News.

Wie viele Schweizer:innen schauen gar nicht mehr hin?
Etwa sechs Prozent der Befragten verzichten komplett auf Nachrichten. Das klingt vielleicht erstmal nach wenig, aber das sind 540’000 Menschen – und die Anzahl steigt. Vor einigen Jahren war diese Zahl noch nahe null.

Heisst das, die Nachrichten sind mit den Jahren unerträglicher geworden?
Nachrichten wirken oft unerträglich, weil wir als Menschen einen sogenannten «Negativity Bias» haben: Unser Gehirn nimmt negative Inhalte stärker wahr, verarbeitet sie intensiver und erinnert sich eher daran. Studien zeigen aber auch, dass die Berichterstattung in der Tendenz in den letzten Jahren tatsächlich negativer geworden ist, insbesondere aber auch durch verstärktes Kriegsgeschehen.

Warum berichten Nachrichten-Redaktionen so häufig über negative Ereignisse?
Die Medien fungieren als «Watchdog» der Demokratie, sie müssen über das Negative berichten. Gleichzeitig gibt es aber auch andere Motive: Negative Inhalte ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich und werden häufiger geklickt als positive Nachrichten.

Was bedeutet es für eine Demokratie, wenn viele Menschen Nachrichten meiden?
Nachrichtenvermeidung kann langfristig negative Folgen für die Demokratie haben, insbesondere wenn bestimmte Gruppen stärker dazu tendieren, bewusst Abstand zu nehmen. Frauen neigen häufiger als Männer dazu, Nachrichten zu meiden. Wenn dies dazu führt, dass sie weniger informiert sind oder gar nicht mehr wählen, entsteht ein demokratisches Ungleichgewicht. Frauen könnten dadurch politisch schlechter repräsentiert werden und in Entscheidungsprozessen verstärkt benachteiligt werden.

Ist das Problem schon erforscht?
Der Zusammenhang zwischen Nachrichtenvermeidung und Wahlbeteiligung ist bislang nicht ausreichend erforscht. Wir tun das jetzt. Bisher ist unklar, ob Menschen, die Nachrichten meiden, weniger oder uninformierter wählen, oder ob sie sich komplett aus dem politischen Prozess zurückziehen. Beide Szenarien wären problematisch, da sie die demokratische Vielfalt schwächen könnten.

Ist es denn okay, sich als Mensch, der eigentlich informiert sein möchte, ab und zu eine News-Pause zu nehmen?
Es sollte immer okay sein, sich eine Pause zu gönnen. Solche Pausen helfen, Energie zu tanken und sich später wieder dem Weltgeschehen zuwenden zu können. Ein schlechtes Gewissen ist dabei unnötig – im Gegenteil, gezielte Pausen sind ein wichtiger Selbstschutz und helfen möglicherweise, das Interesse und die Aufmerksamkeit für wichtige Themen langfristig zu bewahren.

​​Auch wenn Nachrichtenkonsum belastend sein kann: Welche Mittel und Wege gibt es, um Nachrichtenkonsum angenehmer zu gestalten?
Soziale Medien bieten zum Beispiel zahlreiche Möglichkeiten, Nachrichten zugänglicher und ansprechender zu machen. Plattformen wie TikTok und Instagram ermöglichen kreative Formate, die komplexe Themen in kurzer, prägnanter und oft unterhaltsamer Form präsentieren.

Haben Sie ein Beispiel?
Der TikTok-Auftritt der deutschen Tagesschau während der Coronapandemie – dort wurden wichtige Informationen mit auflockernden Inhalten kombiniert. Solche Ansätze wecken Interesse und sprechen insbesondere Menschen an, die über traditionelle Kanäle wie das Fernsehen oder Zeitungen nur schwer erreicht werden. Wichtig ist jedoch, bewusst auszuwählen, welchen Quellen man folgt, um ungeprüften oder stark belastenden Inhalten zu entgehen.

Wie können neue Formate sperrige oder belastende Themen leichter zugänglich machen?
Eine Idee wäre, es mit einer Kombination von ernsten und positiven Inhalten zu probieren. Gut wäre zum Beispiel auch ein algorithmischer Mix, der zwischen kritischen Nachrichten und leichteren Themen abwechselt – das könnte den Konsum weniger überwältigend machen. Dazu bräuchte es aber eine automatisierte Auswahl.

Daran arbeiten Sie?
Aktuell forsche ich unter anderem an einem Algorithmus, der in Nachrichten-Apps integriert werden könnte, um Überforderung – und damit auch Nachrichtenvermeidung – vorzubeugen. Die Idee ist, dass Nutzer:innen mit einem Klick entscheiden können: Möchte ich alle Nachrichten sehen oder lieber auf eher positive Inhalte umschalten? Ebenso einfach soll es sein, wieder zurück zu den ungefilterten Inhalten zu wechseln.

Was erhoffen Sie sich davon?
Der Nachrichtenkonsum könnte so individueller und weniger belastend gestaltet werden und nachhaltig funktionieren. Davon haben dann hoffentlich alle etwas: die Einzelnen, die Nachrichtenmedien – und die Gesellschaft als Ganze.

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Bild annabelle: Symbolbild: Stocksy

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