Kaum Frauen auf dem Bau – wie die Branche versucht, Mädchen für eine Maurerlehre zu begeistern

Fokus

Neue Zürcher Zeitung – Ein Postenlauf im Baumeister Kurszentrum Effretikon.

In der Halle ist es laut. Junge Männer, die meisten um die 16 Jahre, arbeiten, diskutieren, lärmen, fluchen, reissen Witze. Schülerinnen wuseln durch ein Labyrinth aus Maschinen, Werkzeugen und Betonelementen. Mittendrin steht eine junge Frau und baut eine Schalung aus Kanthölzern. Sie ist so konzentriert, dass sie das Treiben um sie herum gar nicht wahrzunehmen scheint.

Anna Kozma, 16 Jahre alt, will Maurerin werden. Im September hat sie eine Lehre begonnen. Das Handwerk lernt sie nicht nur auf der Baustelle, sondern auch hier im Baumeister-Kurszentrum in Effretikon. Kozma sagt: «Ich könnte nicht den ganzen Tag am Computer sitzen.»

Auf die Idee, Maurerin zu werden, sei sie selbst gekommen. Die Familie dürfte Kozma inspiriert haben: Ihre Mutter ist Architektin, ihre Schwester Malerin. Und die Männer? Arbeiten in Büro-Jobs.

Angehende Maurerinnen wie Kozma gibt es selten: Nur 1 Prozent der Lernenden in der Schweiz sind Frauen. Im Kurszentrum Effretikon absolvieren dieses Jahr 103 Personen eine Maurer- oder eine Baupraktikerlehre, unter ihnen 4 Frauen. Das ist überdurchschnittlich.

Die Baustelle ist eine der letzten Bastionen der Männer – doch das soll sich ändern.

Lieber designen als bauen

Der Branchenverband Baukader Schweiz und der Schweizerische Baumeisterverband organisierten am nationalen Zukunftstag am Donnerstag einen Schnupperanlass für Mädchen der 5. und der 7. Klasse. 20 Mädchen absolvierten einen Postenlauf durch das Baumeister-Kurszentrum in Effretikon.

Die Schülerin Tia Al Shaikhly hämmert beherzt Nägel in die Dachlatten. Sie weiss jetzt: Maurerinnen und Maurer arbeiten nicht nur mit Beton, sondern auch mit Holz. Im Gegensatz zur Lernenden Anna Kozma schalt Tia zum ersten Mal einen Rahmen. Sie lächelt, es scheint ihr Spass zu machen. Doch wenn man sie fragt, ob sie gerne handwerklich arbeite, schüttelt Tia den Kopf und sagt: «Ich würde lieber ein Haus designen.»

Harte Arbeit, dreckige Hände, stets dem Wetter ausgesetzt: Die Baubranche versucht das Maurer-Image mit Schnupperanlässen aufzupolieren. In Zürich wird der Beruf immer unbeliebter. Die Lehrlingszahlen sind regelrecht eingebrochen: 2018 lernten in der Region Zürich/Schaffhausen noch 129 Personen Maurer, 2022 sind es nur noch 87. Der Frauenanteil ist konstant niedrig.

Auch schweizweit gibt es immer weniger angehende Maurerinnen und Maurer. 2019 waren es noch 737 Lehrlinge, dieses Jahr nur noch 666.

Nicht nur Muskeln, sondern auch Feingefühl gefragt

Roland Stoll ist Geschäftsleiter des Baumeister-Kurszentrums Effretikon. Er will junge Leute für eine Maurerausbildung motivieren. Stoll sagt: «Besonders in der Stadt haben viele Berührungsängste gegenüber dem Beruf.» Auf dem Land hätten die Kinder und Jugendlichen eine viel positivere Einstellung zu Handwerksberufen.

Dass die Lernenden-Zahlen zurückgehen, liege nicht nur am mangelnden Interesse der Jugendlichen, sondern auch an den Betrieben. «Sie sind zurückhaltender geworden», sagt Stoll. Maurerinnen und Maurer gut auszubilden, bedeute viel Aufwand und Engagement. Das müsse sich letztlich lohnen.

Maurer war immer ein Männerberuf. Früher hiess es, die Arbeit sei für Frauen zu anstrengend. Das stimme nicht mehr, sagt Stoll. Heutzutage sind geübte Handgriffe und Kopfarbeit gleichzeitig gefragt.

Der Bagger-Posten ist bei den Schülerinnen besonders beliebt. Die Mädchen müssen einen an der Baggerschaufel befestigten Eisenstift in Kesseln versenken. Das verlangt keine Muskeln, sondern viel Feingefühl.

Der Fachinstruktor Daniel Meier beobachtet die Mädchen ganz genau. Er sagt: «Einige sind sehr talentiert.» Er merke schnell, wer ein Gefühl für die Maschine habe, sagt Meier. Ihm falle auch auf, dass viele Mädchen motivierter seien als die Buben.

Das bestätigt Markus Kuster. Er ist ebenfalls Fachinstruktor. An seinem Posten bauen die Schülerinnen ihre eigene Mauer. Wer sich bei Kuster ausbilden lässt, muss besonders genau arbeiten: «Einen Millimeter daneben, eine Note Abzug.»

Laut Kuster arbeiten angehende Maurerinnen oft sehr genau und erzielen überdurchschnittlich gute schulische Leistungen. Er sagt aber auch: «Als Mädchen braucht man ein dickes Fell.» Die Umgangssprache auf der Baustelle sei oft rau. Das schrecke wohl viele junge Frauen ab, den Beruf zu erlernen.

Davon ist am Postenlauf nichts zu spüren. Die Frage ist: Gelingt es der Branche, mit solchen Schnupperanlässen das Maurer-Image aufzupolieren und Frauen für den Beruf zu begeistern? Der Zentrumsleiter Roland Stoll hofft es. Es brauche Vorbilder wie die Lernende Anna Kozma.

Doch fragt man die Schülerinnen, ob sie sich vorstellen könnten, irgendwann auf dem Bau zu arbeiten, sagen alle Nein. Sie haben andere Berufswünsche. Ein Tag auf der Baustelle ist genug.

Text Matthias Niederberger

Karin Hofer (Bilder)

Sponsoring