Für Hausfrauen wird es ungemütlich

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Sonntagszeitung – Bettina Weber

Mütter haben nach einer Scheidung nicht mehr automatisch das Recht auf persönlichen Unterhalt. Das Bundesgericht verschärft seine Praxis erneut – und definiert die Ehe neu.

Das Ende einer Ehe ist traurig genug, und damit es kein böses Erwachen wegen des Unterhalts gibt, bleiben beide besser von Anfang an finanziell eigenständig.

Den Lebensstandard weiterführen zu können, gilt nicht mehr

Es ist nicht das erste Mal, dass das Bundesgericht im Familienrecht einen Pflock einschlägt, im Gegenteil. Der jüngste Entscheid reiht sich ein in eine Serie von Urteilen aus Lausanne, die alle etwas gemeinsam haben: Sie setzen konsequent die Gleichberechtigung um, indem sie jahrzehntelang geltende Gewissheiten auf den Kopf stellen und Regeln kippen, die schweizweit bei Tausenden Scheidungen Anwendung fanden.

 

Männer werden durch die neue Rechtsprechung eher entlastet, Frauen geraten zunehmend unter Druck.

 

Das Bundesgericht ist moderner als die Politik

Die Rollenverteilung von Paaren hat sich seither geändert – und damit auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts. Mitunter hat man gar den Eindruck, das oberste Gericht halte die Schweizerinnen und Schweizer für moderner als die Politik, deren Mühlen in Sachen Gleichberechtigung oft langsam mahlen.  

Die Lausanner Richter gehen so konsequent vom Sinn des Wortes Gleichberechtigung aus, dass das Gericht in einem seiner jüngsten Entscheide sinngemäss festhielt, für Mütter gelte derselbe Massstab wie für Väter, weshalb sie «zur vollen Ausschöpfung der Erwerbskraft angehalten» seien. 

 

Die Erwerbsquote der Schweizer Frauen beträgt zwar 80 Prozent, aber die Zahl wird angesichts der oft tiefen Pensen relativiert.

 

 

Traditionelle Rollenverteilung gemäss Bundesgericht «unzeitgemäss»

So gesehen hat sich am Ernährer-Modell doch nicht so viel verändert. Just diese traditionelle Rollenverteilung innerhalb der Ehe betrachtet das oberste Schweizer Gericht nun aber als nicht mehr zeitgemäss. Nicolas von Werdt, einer der zuständigen Richter in der zweiten Zivilkammer am Bundesgericht, sagte letztes Jahr in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger»: «Wer mit der Ehe eine Lebensversicherung will, liegt falsch.» 

 

Das Bundesgericht nennt eine Ehe mit klassischer Rollenverteilung  «Hausgattenehe». 

 

 

Hausfrauen hatten automatisch Anspruch auf Unterhalt

 

Die 45er-Regel besagte, dass einer über 45-jährigen Frau, die sich während der Ehe um Haushalt und Familie gekümmert hatte, nach der Scheidung nicht mehr zugemutet werden konnte, einen Job anzunehmen.

 

Im Februar 2021 wurde die Schraube ein weiteres Mal angezogen: Das Bundesgericht hob die 45er-Regel auf. Sie besagte, dass einer Frau, die älter ist als 45 und sich während der Ehe ausschliesslich um Haushalt und Familie kümmerte, nach der Scheidung nicht mehr zugemutet werden kann, einen Job anzunehmen und sich das eigene Auskommen zu verdienen.

Jeder und jede ist finanziell für sich selbst verantwortlich

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Foto: Getty Images/iStockphoto

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