Tagesanzeiger – Larissa Rhyn
Doppelverdiener sollen nach der Hochzeit künftig keine höheren Steuern mehr bezahlen. Das hatte schon der Nationalrat entschieden. Trotzdem ist der historische Umbau des Steuersystems noch nicht ganz am Ziel.
In Kürze:
Verheiratete Doppelverdienerpaare sollen weniger Steuern bezahlen als heute. Da sind sich FDP, GLP, SP und Grüne einig. Deshalb unterstützen alle vier Parteien die Individualbesteuerung. Ihr Ziel: Mehr Frauen sollen erwerbstätig werden. Laut Schätzungen des Bundes könnten zwischen 10’000 und 47’000 zusätzliche Vollzeitstellen besetzt werden, falls die Schweiz die Individualbesteuerung einführt. Frauen der linken und liberalen Parteien arbeiteten in der letzten Woche darauf hin, im Ständerat eine Mehrheit zu erreichen.
Das ist ihnen nun ganz knapp gelungen: Mit 23 zu 21 Stimmen sagte der Ständerat am Montagabend überraschend Ja zur Individualbesteuerung. Die Allianz, die sich zuvor schon im Nationalrat durchgesetzt hat, hielt. Allerdings sah die Vorlage damals noch ganz anders aus.
Nun hat der Ständerat so viel daran herumgeschraubt, dass es sich beinahe um ein neues Modell handelt.
In einem ersten Schritt hatten konservative Vertreter im Ständerat – zusammen mit Freisinnigen – die Vorlage umgebaut. Sie wollten dafür sorgen, dass Einverdienerehepaare nicht benachteiligt werden. Das Problem: Die Individualbesteuerung sieht separate Steuererklärungen für beide Partner vor. Kinderabzüge müssten dann hälftig von beiden Partnern gemacht werden können, sodass diejenigen Paare am meisten profitieren, bei denen beide ein hohes Einkommen haben.
Neu will der Ständerat, dass Kinderabzüge von einem Partner auf den anderen übertragen werden können. Dadurch würde es keine Rolle mehr spielen, wenn nur ein Partner erwerbstätig wäre und sich der andere um die Kinder kümmerte. So wäre die Vorlage noch teurer geworden: Eine Milliarde Franken weniger Steuern würden die Schweizerinnen und Schweizer künftig bezahlen. Dies, obwohl der Rat im gleichen Zug die einzelnen Kinderabzüge etwas gesenkt hat.
Als Konsequenz bestand die Gefahr, dass einzelne SP-Vertreter die Vorlage ablehnen würden – und sie so keine Mehrheit mehr finden würde. Also kam die Mehrheit am Montag dann auch noch der SP entgegen. Diese forderte, die Steuertarife für Gutverdiener anzuheben.
Jetzt stehen sowohl Bundesbeamte als auch Nationalrätinnen vor einer komplexen Aufgabe. Die Verwaltung muss neu berechnen, wie viel die Vorlage mit all diesen Änderungen kostet. Mit dem SP-Modell der höheren Steuertarife sollten pro Jahr eigentlich «nur» 500 Millionen Franken pro Jahr in der Bundeskasse fehlen. Doch wie das neue System in Kombination mit den Vorteilen für Einverdienerpaare funktioniert und welche Steuereinbussen sich daraus ergeben, ist offen.
Auch muss geklärt werden, ob weiterhin die Mehrheit der Ehepaare weniger Steuern bezahlt als mit dem heutigen Modell. Dies hätte der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrats garantiert. Damit sollte die sogenannte Heiratsstrafe abgeschafft werden: Dass die meisten Paare also nach der Hochzeit mehr Steuern bezahlen als zuvor.
Eine weitere Frage ist, ob es mit all den Änderungen noch Sinn ergibt, wenn Paare künftig zwei separate Steuererklärungen ausfüllen. Denn bleibt der Nationalrat dabei, dass Paare die Kinderabzüge auch übertragen können, müssten die beiden Steuererklärungen doch wieder verknüpft werden.
Im Sommer muss der Nationalrat wieder ans Werk. Es stellt sich die Frage, ob die Änderung zugunsten der Einverdienerehepaare auch dort eine Mehrheit findet. Diese widerspricht dem Grundgedanken der Individualbesteuerung. Und sie senkt die Erwerbsanreize für Eltern etwas, weil der Unterschied zwischen Doppelverdiener- und Einverdienerehepaaren nicht mehr so gross ist. Gleichzeitig könnte dieser Vorschlag aber die Chancen der Vorlage erhöhen, falls es zu einer Volksabstimmung kommt. Denn sowohl die Mitte als auch die SVP liebäugeln mit einem Referendum.
Mitte und SVP haben die Individualbesteuerung von Anfang an bekämpft. Die Mitte will zwar die sogenannte Heiratsstrafe abschaffen – aber mit einer eigenen Initiative «für faire Steuern». Diese will die gemeinsame Besteuerung von Paaren beibehalten. Mit einem «alternativen Modell» soll aber sichergestellt werden, dass Paare nach der Hochzeit nicht mehr Steuern bezahlen als vorher.
Definitiv darüber entschieden, ob sie ein Referendum ergreifen, haben die Gegner noch nicht.
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