Diese Meeresschützerin will Ökozid im Schweizer Strafrecht verankern

Fokus

20 Minuten – Gabriella Alvarez-Hummel

Es ist Zeit für Veränderung, findet Silvia Frey. Mit ihrer NGO Kyma und einer Petition kämpft sie dafür, dass die Zerstörung der Natur in der Schweiz strafrechtliche Konsequenzen hat.

Darum gehts

  • Ökozid bezeichnet die vorsätzliche und grossflächige Zerstörung von Ökosystemen, wie Abholzung, Umwelt- und Gewässerverschmutzung.
  • Die Schweiz hat derzeit kein spezifisches Gesetz, das Ökozid als Verbrechen definiert und strafrechtlich verfolgt.
  • Die Meeres- und Umweltschützerin Silvia Frey will das mit ihrer NGO Kyma ändern und hat eine Petition gestartet. Sie plädiert für einen Werte- und Systemwandel.

Silvia Frey, wir haben kürzlich einen Artikel über Ökozid als Straftatbestand sowie den Schweizer Status quo publiziert. Nun hat die von Ihnen gegründete NGO Kyma eine Ökozid-Petition gestartet. Warum ist die Zeit reif für ein Ökozid-Gesetz in der Schweiz?

Die Schweiz ist bei internationalen Vereinbarungen – etwa zu Biodiversitäts- oder Klimaschutz – in der Regel immer bei den Unterstützenden und Progressiven. Es gibt aber eine Kluft, wenn man die Umsetzung im Inland anschaut. Wir haben noch nicht einmal die Ziele der Anzahl Schutzgebiete erreicht, die wir schon vor einigen Jahren hätten erreichen sollen. Es ist gut, wenn sich die offizielle Schweiz stark macht in den internationalen Gremien, aber die Umsetzung im Inland ist genauso wichtig.

Was würde es für die Schweiz bedeuten, wenn Ökozid als Straftatbestand ins Gesetz aufgenommen würde?

Ökozid zu verankern, würde heissen, dass die Natur strafrechtlichen Schutz bekommen würde. Das wurde in der Schweiz immer mal wieder diskutiert in den letzten Jahren, aber auch immer wieder weggewischt. Es hätte immense Konsequenzen. Zum Beispiel müssten Richter und Richterinnen entsprechend ausgebildet werden, um diesen Tatbestand beurteilen zu können. Trotzdem denke ich, dass es die Zukunft ist. Wir sind ein wirtschaftsliberales Land, aber wir werden umdenken müssen. Und natürlich wären damit nicht alle Umweltprobleme aus der Welt geschafft – aber die Signalwirkung wäre riesig.

Signalwirkung wofür?

Ich bin seit 25 Jahren im Meeresschutz aktiv und dort spricht man oft vom Wertewandel. Unser profitorientiertes System stimmt nicht. Wenn wir das nicht angehen, wird es auch keine grundlegende Veränderung geben. Ökozid muss ein Thema werden. Es ist mir auch ein Anliegen, dass auch der Begriff salonfähig wird und die breite Öffentlichkeit weiss, worum es bei diesem Begriff geht. Dass es ein globales Problem ist, an dem wir mitbeteiligt sind und unter dem wir letztlich leiden.

Haben Sie konkrete Beispiele dafür, welche Handlungen in der Schweiz unter einem Ökozid-Gesetz bestraft werden könnten?

Pestizideinsatz ist potenzieller Ökozid. Man weiss, dass Pestizide direkt mit dem Artenschwund zusammenhängen. Dabei würde die Pestizidindustrie zur Rechenschaft gezogen werden, nicht diejenigen, die die Pestizide einsetzen.

Welche Länder nehmen hier eine Vorbildfunktion ein?

Frankreich hat sein Ökozid-Gesetz gerade verschärft. Es ist schwierig, aber machbar. Die Länder, die vorausgehen, machen nicht alles perfekt, aber sie gehen voraus. Auch die Südpazifikstaaten sind sehr interessiert daran, dass das Thema mehr Relevanz bekommt, weil sie direkt betroffen sind: Ihnen gehen buchstäblich die Länder unter. In der Schweiz empfinden wir das noch nicht so sehr als Bedrohung, wir können noch wegschauen, diese Länder eben nicht. Auch das EU-Parlament hat bekräftigt, dass seine Mitgliedsstaaten Ökozid in die nationalen Gesetzgebungen aufnehmen sollen. Das ist ein starkes Signal.

Ökozid würde mehrheitlich Unternehmen betreffen, nicht Privatpersonen, oder?

Privatpersonen wären nicht betroffen, jedoch Einzelpersonen in Machtpositionen. Es ist schön und wichtig, wenn alle etwas tun, um nachhaltiger zu leben. Aber es nützt nichts, wenn Firmen und Politik Umweltrisiken in Kauf nehmen. Es muss Hand in Hand gehen. Ich hoffe, dass nicht zu viele Leute den Mut verlieren und nichts mehr tun, weil Konzerne und auch Regierungen wenig tun. Ich bin überzeugt, dass wir rechtlich mehr Grenzen setzen müssen. Die Aktivitäten grosser Konzerne sollten kritischer hinterfragt und beurteilt werden.

Sie kämpfen seit 25 Jahren für Umweltschutz. Sie wissen bestimmt, wie man hoffnungsvoll und motiviert bleibt.

Rausgehen! Augen und Ohren öffnen und spüren, wie schön alles ist und dass wir das nicht aufs Spiel setzen sollten. Häufig fokussiert man sich auf die Sachen, die kaputtgehen. Das ist auch wichtig, aber die Mischung macht es aus. Es ist so wichtig, die Schönheit der Natur zu erkennen, sodass man auch motiviert ist, wirklich etwas zu tun. Ausserdem ist es wirklich so: Es ist noch nicht zu spät. Wir haben bestimmte Tierarten verloren und gewisse Umweltbereiche sind stark beschädigt. Die Umweltprobleme sind gross. Aber das, was wir jetzt haben, können wir noch retten. Auch der Bericht des Klimarates zeigt: Wenn wir mutig sind und überzeugt und konsequent, dann schaffen wir es, das Schiff nicht zu kentern. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass es massive Änderungen braucht. Es ist wichtig, dass die Leute wissen, dass Hoffnung besteht. Zu guter Letzt ist natürlich eine Sache wichtig: Abstimmen gehen!

Ihre Petition läuft noch ein gutes Jahr. Was wäre das Beste, das daraus entstünde?

Dass die Schweiz sich engagiert, Ökozid ins Gesetz aufzunehmen, indem sie eine parlamentarische Arbeitsgruppe bildet, die prüft, wie die Aufnahme umsetzbar wäre. Das wäre ein Riesenschritt vorwärts.

Der Artikel von Gabriella Alvarez-Hummel

Bild: Silvia Frey

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