Republik – Leandra Bias
Gegen die Frau und die Demokratie: Der Kampf gegen gerechte Geschlechterverhältnisse gehört zum Kern des Putinismus und anderer rechter Bewegungen. Eine Antwort auf den Krieg muss deshalb auch eine feministische sein.
Wladimir Putin erwähnt es selber, man muss nur genau hinhören. Als der russische Präsident den Krieg gegen die Ukraine zu legitimieren versuchte, sagte er:
Und im Grunde haben diese Versuche des Westens, uns für seine eigenen Interessen einzuspannen, nie aufgehört: Er versucht, unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns seine Pseudowerte aufzudrängen, die uns, unser Volk, von innen zerfressen sollen, all diese Ideen, die er bei sich bereits aggressiv durchsetzt und die auf direktem Weg zu Verfall und Entartung führen, denn sie widersprechen der Natur des Menschen. Dazu wird es nicht kommen, das hat noch niemand je geschafft. Auch jetzt wird es nicht gelingen.
«Traditionelle Werte», die angeblich zerstört, und «Pseudowerte» oder «westliche Werte», die Russland stattdessen aufgezwängt werden sollen: Es ist eine Erzählung, die Putin immer wieder zitiert. Dabei gelten die Geschlechtergerechtigkeit und der Feminismus, der sich für diese einsetzt, immer als besonders gefährlich. Offen inszenierter Antifeminismus ist seit vielen Jahren ein wichtiger Teil des Systems.
Es ist essenziell, diese Tatsache anzuerkennen: Die Abwertung und Entrechtung von Frauen (und von LGBTIQ+) ist kein zufälliges Nebenprodukt. Es ist ein Kernelement des Putinismus. Der Antifeminismus erfüllt als Instrument gleich mehrere Funktionen: Er dient als Rechtfertigung für eine autoritäre Politik nach innen, für Angriffskriege nach aussen – und er schafft gemeinsames Terrain mit rechten Bewegungen in verschiedenen Ländern.
Wollen wir Demokratien tatsächlich festigen und verteidigen, ist diese Einsicht wichtig. Sonst riskieren wir, die falschen Schlüsse aus diesem Krieg gegen die Ukraine zu ziehen. Solche Konflikte lassen sich nicht mit reiner Militarisierung gewinnen. Genauso braucht es ernsthafte Investitionen in die Menschenrechte und die Geschlechtergerechtigkeit.
Wie also zeigt sich der Antifeminismus im Putinismus? Welchen Zweck erfüllt er? Und wie könnte und müsste man ihm begegnen – nicht nur in Russland, sondern auch in etablierten Demokratien wie jüngst wieder in den USA?
Die Idee der «traditionellen Werte», die es zu schützen gilt, kursiert seit Putins zweiter Amtszeit und hat seither stets an Bedeutung gewonnen. Bereits 2007 verwies Putin in seiner mittlerweile berüchtigten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf die Gefahr, dass ein Land seine nationalen Grenzen stets überschreite und anderen seine wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Politiken aufzwängen möchte – gemeint waren damals die USA. Damit etablierte er die Gleichsetzung zwischen Imperialismus und «fremden Werten» offiziell. Seither ist die Behauptung, dass vermeintlich westliche Werte nicht vereinbar seien mit russischen «traditionellen Werten», zur Staatspolitik geworden.
Insbesondere die «Gender-Ideologie» wird dabei als speziell schlaue westliche Strategie dargestellt, die Russland über eine innere fünfte Kolonne – also mittels russischer Feministinnen – zum Zerfall bringen soll. Wenige Monate vor der Invasion der Ukraine sagte Putin im Waldai-Club – dem wichtigsten aussenpolitischen Kongress in Russland –, dem Westen seien die Basics für Fortschritt abhandengekommen, weil er nun sogar solche «Dinge wie Mama und Papa» infrage stelle. Dem müsse Russland einen gesunden Konservatismus entgegenstellen.
Auf die Frage, was das genau beinhalte, liess er keinen Zweifel übrig: «Wandel ist schon in Ordnung. Aber jemand muss das Kind, das sich wandeln soll, gebären.» Die Pfeiler des gesunden Konservatismus sind also: die Nuklearfamilie und die Rolle der Frau als Gebärmaschine. Man hätte ihn auch fragen können, wie er Patriarchat definiere.
Aus diesem Grund wird Feministinnen im Land vorgeworfen, sie planten unter Anweisung des Westens einen Hinterhalt. Denn sie setzen sich für Selbstbestimmung ein: das Recht auf Scheidung, das Recht, sich gegen häusliche Gewalt zu wehren, und das Recht auf einen sicheren Zugang zu Abtreibungen.
Darauf spielte Putin an, als er die inneren Feinde in seiner Rede kurz nach der Invasion aufzählte. Verräter und Abschaum nannte er jene, die auf ihren «Gender-Freiheiten» beharrten, aber die wie Mücken ausgespuckt werden würden.
Zu diesem antifeministischen Feindbild gehört insbesondere auch die Idee einer Gleichstellung von LGBTIQ+; die gleichgeschlechtliche Ehe als Bedrohung für die russische Gesellschaft. Populär wurde der Begriff «Gayropa» anstelle von «Evropa», als Putin 2012 zum dritten Mal gewählt wurde. Damals stand die Legalisierung der Ehe für alle in Frankreich bevor. Die Medien schlachteten die Vorstellung aus, dass bald russische Kinder von Schwulenpärchen (pauschal als Pädophile herabgesetzt) in Europa adoptiert würden.
Gleichzeitig setzte sich die Bezeichnung «Homokratie» unter russischen Internetusern durch und wurde Sinnbild dafür, dass der Westen in Wahrheit nicht Demokratie fördern, sondern seine perversen Werte aufzwingen möchte. Oppositionspolitiker Alexei Nawalny wurde in derselben Logik als ein Kandidat für Schwule diskreditiert, weil er sich für Demokratisierung einsetzte.
Sogar der russische Sicherheitsrat, das höchste Gremium, diskutierte zur selben Zeit ernsthaft, dass angesichts der westlichen homosexuellen Aggression eine Strategie der moralischen Abwehr nötig wäre.
Das öffentliche Schimpfen auf die «Gender-Ideologie» erfüllt gleich mehrere Zwecke.
Annexion der Krim, ein getarnter Überfall in der Ostukraine oder wie heute ein voller Angriffskrieg zu tugendhafter, ja gar unschuldiger Verteidigung.
Deshalb erfuhr Joanne K. Rowling ein böses Erwachen, als Putin sie in einer Rede nach der Invasion plötzlich als eklatantes Beispiel für die westliche Cancelkultur erwähnte. Die Autorin der Harry-Potter-Bücher vertritt zu Geschlecht und Genderfragen eine Haltung, welche ihr den Vorwurf der Transphobie eingebracht hat. Putin bediente sich bewusst der rechten Rhetorik, die Machtverhältnisse umkehrt und marginalisiert – darunter auch Feministinnen – und deren Einsatz gegen Diskriminierung als übermächtig darstellt. Genau das tat auch die russische Botschaft in Frankreich, als sie kurz nach dem Angriff eine Karikatur mit der Überschrift «Europe 2022» auf Twitter veröffentlichte: Cancelkultur wird gleichgesetzt mit der Nato-Erweiterung. Und Aggression ist darum Selbstschutz in einem zivilisatorischen Konflikt mit der Ukraine als Schauplatz.
Mit seiner Rhetorik gegen den angeblich pervertierten, verweichlichten Westen setzt der Putinismus nicht nur seine eigenen unmittelbaren Interessen durch. Er wird damit auch anschlussfähig bei der internationalen Rechten, die in Russland eine Projektionsfläche gefunden hat, wo noch Ordnung herrscht.
Darum reicht es für eine Stärkung der Demokratien nicht, militaristisch gegen Russland vorzugehen – wir müssen auch antifeministischen Bewegungen in anderen Ländern entgegentreten.