«Die Familie musste leer schlucken, als sie von meinem neuen Job erfuhr»

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20 Minuten – Katrin Atkins war die erste Minenräumerin der Schweizer Armee. Jetzt spricht die Kampfmittelbeseitigerin über geächtete Munition im Ukraine-Krieg, ihren Lohn und Beziehungen in einem gefährlichen Leben.

Katrin Atkins entschärfte weltweit Minen und Bomben für die Schweizer Armee während zehn Jahren. Jetzt führt sie ihr eigenes Beratungsunternehmen für Risikomanagement und berät die Vereinten Nationen, NGOs und die Eidgenossenschaft im sicheren Umgang mit Kampfmitteln.

Wie kommt man zu so einem Beruf und was braucht es dafür? 20 Minuten hat die Minenräumerin am Female Future Festival in Zürich zum Interview getroffen.

Wollten Sie schon immer Minen räumen?

Katrin Atkins: Nein, das hätte ich früher nie gedacht. Ich hatte ein gutes Leben, war Grafikerin mit eigenem Atelier in Bern. Das war schön, aber mit den Jahren setzte eine Routine ein. Mich interessiert, was in der Welt passiert. Ich habe dann eine Doku über Bombenentschärfung gesehen, das hat mich fasziniert.

Brauchen Sie den Nervenkitzel oder sind Sie lebensmüde?

Nein, ich bin eher risikoscheu, das ist eine gute Voraussetzung beim Minenentschärfen. Man muss sich Zeit nehmen, einen Schritt zurückgehen und nachdenken. Mir gefällt das Technische, dass man in der Welt herumkommt, Verantwortung übernimmt und schwierige Entscheidungen trifft. Auch nach 14 Jahren habe ich noch Leidenschaft dafür, ich lerne stets neue Länder, Kulturen, Menschen und ihre Probleme kennen.

Was sagte Ihr Umfeld zum Job?

Die Familie musste leer schlucken und Freunde schüttelten den Kopf, aber so bin ich nun mal. Kinder habe ich nicht, sonst hätte ich es wohl nicht gemacht. Meinen Ehemann aus England habe ich beim Minenräumen kennen gelernt. Wenn er nicht aus der Branche käme, wäre die Beziehung schwierig, weil man oft und lange in Missionen weltweit unterwegs ist.

Wie sind Sie Minenräumerin geworden?

Ich habe einen Munitionskurs an einer privaten Schule in Deutschland absolviert, dann hatte ich das Glück, dass mich die Schweizer Armee als damals erste Frau in der Minenräumeinheit einstellte. So wurde ich Kampfmittelbeseitigerin und lernte, Bomben und Minen zu räumen. Ich wollte das unbedingt machen und hätte dann einfach einen anderen Weg gefunden, wenn es mit der Armee nicht geklappt hätte.

Wie viel Lohn bekommt man als Minenräumerin?

Das ist schwierig zu beantworten – die Frontarbeit wird meistens durch lokale Mitarbeitende gemacht. Das schafft Arbeitsplätze vor Ort. Die Löhne richten sich nach den lokalen Massstäben und Vorgaben. Mein Lohn ist deshalb sehr unterschiedlich und hängt davon ab, was die Kunden bereit sind, für meine Expertise zu bezahlen.

«Es kommt schon vor, dass es Unfälle gibt.»

Katrin Atkins

Ist auch schon mal etwas schiefgegangen?

Es kommt schon vor, dass es Unfälle gibt. Das ist immer traurig, es ist eine kleine Szene, und man kennt und trifft sich immer wieder irgendwo auf der Welt.

Ist Ihnen noch nie etwas passiert, hatten Sie keine Angst?

Doch, ich habe viele gefährliche Situationen erlebt, mit Autounfällen und Überfällen im Osten des Kongos. In Vietnam gibt es seit dem Krieg vor 50 Jahren immer noch Streumunition, die wir entfernen. Doch einem ansässigen Bauern ging es nicht schnell genug. Er kam mit einem Rucksack voller Streumunition in unser Büro und leerte sie auf den Tisch. Es war ein Wunder, dass keine explodiert ist. Seither habe ich die Tür immer im Blick, um zu sehen, wer hineinkommt.

Haben Sie eine Lebensversicherung abgeschlossen?

Nein – ich habe nicht vor zu sterben.

Sind Sie auch in der Ukraine am Minenbeseitigen?

Ich bin abhängig von Kundenaufträgen und bin bis jetzt noch nicht für die Ukraine angefragt worden. Im Moment habe ich sehr viele Projekte in Südostasien, etwa in Kambodscha oder Thailand. Aber es stimmt, Arbeit gibt es leider genug, man hört zwar nur vom Ukraine-Krieg, aber es gibt sehr viele Konflikte auf der Welt. Auch Syrien zum Beispiel ist noch lange nicht sicher.

Auch in der Ukraine gibt es uranangereicherte und Streumunition, die geächtet sind. Wie denken Sie darüber?

Im Krieg ist solche geächtete Munition leider die Realität, sie ist sehr effektiv. Die Ukraine hat zwar unterschrieben, dass sie darauf verzichten will, setzt sie aber wie Russland ebenfalls ein. Erst kürzlich wurde die Ukraine deshalb in Genf von den Vereinten Nationen ermahnt. Es ist gut, dass die Ukraine darüber spricht, aber eine rechtliche Handhabe dagegen gibt es nicht.

Der Artikel von Fabian Pöschl

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