Als Finanzchefin jettete sie um die Welt, jetzt siedet sie Seife in Wollishofen – Warum?

Fokus

watson.ch – Larissa Speziale

Dem Manager-Dasein den Rücken kehren und mal was ganz anderes, was eigenes machen. Andrea Ziegler hat diesen Weg beschritten. Früher CFO verschiedener internationaler Unternehmen, produziert sie heute vegane Naturseifen. Was bewegte sie, die sichere Anstellung zu verlassen? Weshalb wollte sie ihr eigenes Ding auf die Beine stellen?

Andrea Ziegler ist 20 Jahre lang als Finanzchefin von internationalen Firmen durch die Welt gejettet. «Ich habe es geliebt», so die aufgestellte Frau mit sportlichem Kurzhaarschnitt, «und habe das Glück, keinen Jetlag zu kennen.» In den Büroräumlichkeiten einer Wohngenossenschaft in Zürich Wollishofen erzählt die 55-Jährige ihre Geschichte. Der Duft von ätherischen Ölen liegt in der Luft. Die in den Hinterhof ausgerichteten Räumlichkeiten sind heute die Arbeitsplätze von Andrea: eine Küche, wo sie die Seifen siedet und ein Raum, wo sie die Produkte lagert, trocknet sowie verpackt.

Andrea ist seit April 2021 hier eingemietet. Ursprünglich hat die energische Frau eine Lehre als Kauffrau absolviert. Danach ist sie in die IT-Branche eingestiegen, wo sie sich zur Finanzchefin weiterentwickelt hat. Mit 30 Jahren absolvierte sie den zweijährigen Management-Lehrgang der Imaka und im Alter von 40 Jahren wollte sie ihr Wissen, das sie on the Job erworben hat, mit einem Abschluss unter Beweis stellen. Sie machte den Master of Advanced Studies in Controlling an der Hochschule Luzern. Daneben hat sie 100 Prozent weitergearbeitet. «Ich war ein Effizienzjunkie», gibt Andrea Ziegler zu, «sonst hätte ich es nicht geschafft.» Sie sei dem dualen Bildungssystem der Schweiz «mega dankbar», dass es möglich sei, dank Berufserfahrung direkt einen Master zu absolvieren und daneben weiterhin voll zu arbeiten. «Der Generationenmix im Studium war sehr gewinnbringend. Ältere, berufserfahrene wie ich und jüngere, theoriegewandtere Personen profitierten voneinander.» Die Kontakte hätten sich trotz Altersunterschied bis heute bewährt. Nach weiteren Jahren als Finanzchefin bei AFRY, einem national und international tätigen Unternehmen in den Bereichen Engineering, Design und Beratung, und zwei Jahren in einem KMU im Bereich Cybersecurity, hatte sie aber die Rolle als Angestellte gesehen – sie entschied, sich selbstständig zu machen.

«Ich war ein Effizienzjunkie.»

 

Fehlende Identifikation mit Job

Was ist der Grund, dass die Business-Frau heute in der Küche steht und an der perfekten Haarseife tüftelt? Wenn sie von ihren Jobs als Finanzchefin erzählt, wirkt Andrea Ziegler begeistert. Weshalb also der Wechsel? «Ich habe mehr als 30 Jahre Produkte, die jemand anders entwickelt hat, betreut. Auf die Produkte selbst und deren Entwicklung konnte ich kaum Einfluss nehmen», erklärt Andrea Ziegler. Folgende Frage begann sich aufzudrängen: «Kann ich noch hinter den Dingen stehen, für die ich tagtäglich Gas gebe?» Es reizte Andrea, herauszufinden, ob sie es schafft, ein Produkt nach ihren Werten zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Diese Fragestellungen kennen viele von uns. Einige haben vielleicht auch die eine oder andere unternehmerische Idee im Kopf. Aber dafür gleich den Job hinschmeissen und die Karriere auf Eis legen? Das ist vielen dann doch ein zu grosser Schritt aus der Komfortzone.

 

«Kann ich noch hinter den Dingen stehen, für die ich täglich Gas gebe?»

 

Es musste also mehr dahinterstecken. Tatsächlich erzählt sie auf Nachfrage, dass es ihr zu politisch wurde im Unternehmen –, das sei nicht ihr Ding. Andrea findet einen offenen, ehrlichen, fairen und empathischen Umgang wichtig. Die Zusammenarbeit wurde immer unpersönlicher. Die Verantwortung für das eigene Handeln schwand. Sie konnte die Identifikation mit dem Job nicht mehr aufrechterhalten.

 

Mikroplastik sogar in Föten

In dieser Zeit begann Andrea, sich für die Seifenproduktion zu interessieren. Aus was besteht Seife? Was braucht es für deren Produktion? «Die Menschen schmieren sich tagtäglich Kosmetikprodukte auf die Haut, deren Liste der Inhaltsstoffe sie nicht mal entziffern können», erbost sich Andrea. «Dazu kommt, dass diese Produkte einerseits in Plastikflaschen stecken, andererseits voller Mikroplastik sind. Unterdessen kann man Mikroplastik sogar in Föten nachweisen.» Dieser Missstand habe sie – nebst der beruflichen Geschichte – zum Handeln bewegt.

Andrea besuchte Kurse und tauschte sich mit Seifensieder:innen aus aller Welt aus. Die für sie perfekte Seife konkretisierte sich in ihrem Kopf. Sie wollte nur mit pflanzlichen Rohstoffen arbeiten, die möglichst lokal produziert werden und deren Hersteller sie kennt. Sie recherchierte, besuchte Bauern, die Öle – ein wichtiger Bestandteil von Seifen – produzierten und begann, Prototypen herzustellen. Ihre erste Seife entstand im Oktober 2020. Kurze Zeit später hängte sie ihren Job an den Nagel. Im Januar 2021 gründete sie die Firma sazz (Seifä Andrea Ziegler Züri). Im Oktober 2021 ging sie mit drei ersten Produkten auf den Markt. Diese hat sie sorgfältig von einer Gruppe verschiedenster Personen testen und danach zertifizieren lassen. Auch finanziell war von Anfang an alles sauber geregelt. Andrea Ziegler gab sich selbst ein zinsloses Darlehen und zahlt sich ein Minimalsalär. Ganz strukturiert wie die Finanzerin, die sie jahrzehntelang war.

 

Kein Zuckerschlecken

Nach der Lancierung der ersten drei Produkte war und ist die grosse Herausforderung, diese an die Frau und den Mann zu bringen. Als Business-Frau hat Andrea Ziegler diverse Kontakte und bei vielen einen Vertrauensbonus. Das Geschäft läuft gut an – es weihnachtet und die Zürcher Seife ist ein beliebtes Firmengeschenk ehemaliger geschäftlicher Kontakte. Und dann? Dann kam die harte Realität: «Es stellte sich heraus, dass der Absatz über Vertriebspartner zu viel Marge verlangte, darum behielt ich die paar handverlesenen Wiederverkäufer und setzte auf den Direktverkauf», so Andrea Ziegler. Dieser aber ist kein Selbstläufer.

Es gibt gute Wochen und es gibt schlechte Wochen: «Es ist für mich sehr schwierig, die Ungewissheit auszuhalten, ob noch Bestellungen kommen oder nicht». Sobald es ein paar Tage keine Bestellungen gäbe, drehe sie am Rad. Ganz die Optimistin versucht sie jedoch, aus diesen Situationen etwas zu lernen: «Ich hinterfrage mich und suche nach neuen Ideen.» Aktuell konkretisiert sie ein Baby-Geschenkset (eine Naturseife und ein Badetuch aus Bio-Baumwolle), welches sie über Firmen absetzen möchte.

 

Ungewisse Zukunft – unbezahlbare Erfahrung

Wird sazz überleben? «Ende 2022 ziehe ich Bilanz und schaue, ob ich weitermachen möchte und kann», so Andrea, «bis dahin gebe ich Vollgas.» Es würde keinen Sinn machen, sich von kurzfristigen Resultaten beeinflussen zu lassen, meint die zielorientierte Frau. Nur ein etwas längerfristiger Horizont, welcher vorher festgelegt wurde, liesse eine Beurteilung zu. Wohin die Reise mit sazz geht, steht in den Sternen. Obwohl sie mit der Ungewissheit hadert, fehlt es Andrea Ziegler nicht an Motivation, alles für das Produkt zu geben, hinter dem sie voll und ganz stehen kann. Und eines weiss sie ohne Bilanz ziehen zu müssen: Die Erfahrungen würde sie niemals missen wollen. «Sich ein Salär zu erarbeiten, ist etwas ganz anders, als ein Salär zu beziehen. Das zu erleben ist unbezahlbar.»

Zum Originalartikel von Larissa Speziale

 

 

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