Sonntagszeitung – Bettina Weber –
Nadia Brönimann, die bekannteste Transfrau der Schweiz, über die Zunahme von Geschlechtsangleichungen bei Teenagern, die Toleranz der Landbevölkerung und die Fehler der Trans-Community.
Seit Anfang Jahr reicht in der Schweiz ein Gang zum Zivilstandsamt, um offiziell das Geschlecht wechseln zu können. Bei Nadia Brönimann war das alles noch viel komplizierter. Als die bekannteste Schweizer Transfrau vor 24 Jahren das Geschlecht anpassen liess, sprach man selten darüber, und wenn, dann wurde der mittlerweile abgeschaffte Begriff Transsexualität verwendet.
Brönimann zog sich 2016 aus der Öffentlichkeit zurück. Sie ist heute 52 und sorgte kürzlich für Schlagzeilen, weil sie erklärte, den operativen Eingriff zu bereuen. Das brachte ihr innerhalb der Trans-Community Kritik ein.
Es kamen viele Rückmeldungen! Von jungen Transmenschen, von Leuten aus der Gay-Szene, von Eltern betroffener Jugendlicher, von vielen Fachpersonen, Ärztinnen und Psychologen. Drei Viertel davon waren positiv, der Tenor: Es ist wichtig, dass man die schwierigen Seiten von Geschlechtsangleichungen ebenfalls aufzeigt. Aber es gab auch Beschimpfungen. Das war zu erwarten – ich wusste, dass ich mich mit dieser Aussage nicht beliebt mache.
Es ist ein Tabu. Keine Transperson gibt gerne zu, dass das Ergebnis der Operation nicht gut gelungen ist, weil es ja ein freiwillig gewählter Weg war. Es braucht viel Mut, sich das einzugestehen oder gar öffentlich zu sagen. Darum hört man nichts von jenen, bei denen es nicht gut lief.
Ja, zum Beispiel die Eltern eines jungen Mannes, der sich mit 18 operieren liess und heute, mit 24, alles rückgängig machen möchte. Auch für ihn war die Operation nicht der Befreiungsschlag, den er sich erhoffte. Ich verstehe nicht, warum unsere Erfahrungen bedeutungslos sein sollen.
Als ich wieder zurück in den Alltag fand, nach vier, fünf Jahren. In der ersten Zeit war für mich alles konfus und ein einziges Durcheinander. Man kann es nicht fassen, es ist eine Mischung aus Euphorie und Schmerz. Als das vorbei war, merkte ich: Das Skalpell hat meine Probleme nicht gelöst. Mein Ich war ja nicht operiert worden, das war immer noch da und dasselbe wie vorher.
Das war es auch. Mittlerweile habe ich gelernt, damit umzugehen. Trotzdem wird es mich bis ans Ende meines Lebens beschäftigen. Gleichzeitig ist mir wichtig festzuhalten, dass ich mich nicht als Opfer fühle. Ich bin sehr zufrieden mit meinem weiblichen Dasein. Aber wenn ich sehe, wie viele Möglichkeiten an Lebensentwürfen es heute gibt, denke ich: Wenn ich bloss diese Chance damals auch gehabt hätte!
Es ist heute möglich, in seinem sozialen Wunschgeschlecht zu leben, ohne dass man deswegen Operationen machen lassen muss. Deshalb finde ich es so wichtig, dass man jungen Betroffenen diese Chancen ebenfalls aufzeigt. Stattdessen wirkt es, wie wenn es nur zwei Möglichkeiten gäbe: wenn trans, dann Hormone und Operation, wenn nicht, dann nicht. Das ist mir zu schwarz-weiss.
Foto: Remo Inderbitzin