Ich komme aus einem „Arbeiterhaushalt“, bin im ländlichen Raum aufgewachsen, und der Wunsch nach einem Studium hat meine Eltern überrascht; sie haben mir nicht verboten zu studieren, aber doch darauf Wert gelegt, „etwas Handfestes“ zu wählen.
So habe ich zunächst ein BWL Studium gewählt.
Aber nach einem Semester wusste ich: Mein Herz schlägt für die „Vogelperspektive“, für strukturelle Beobachtung, Analyse, Gestaltung von Gesellschaft.
So habe ich meine Fächer gewechselt: Politikwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre, wobei ich das Fach aus meinem BWL Studium „mitgenommen“ habe und in Kombination mit Politik und Soziologie unschlagbar wertvoll finde.
Hier, in diesen Herangehensweise, schlägt mein Herz nach wie vor, und ich würde diese Themen trotz arbeitsmarktbezogener Warnungen des damaligen Studienberaters jederzeit wieder wählen.
1994 ergab sich aus einem Praktikum meine erste (befristete) Projektstelle in der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Das war ein grosser Glücksfall für mich in zweifacher Hinsicht: Es schärfte mein Bewusstsein für mein Verständnis von Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft, dem damit verbundenen Wertefundament und dem Bewusstsein, dass eine solche anspruchsvolle Herrschafts- und Lebensform unser aller Unterstützung und Reflexion benötigt. Zum zweiten konnte ich als Projektleiterin bereits Verantwortung für Konzeption und Umsetzung eines Kongresses zum Thema Nachhaltige Entwicklung übernehmen, einige wenige Jahre nach der UNCED Konferenz von Rio de Janeiro 1992.
1996 kam ich für mein Doktorat an die ETH. Die Schweiz war damals in puncto interdisziplinäre Umweltforschung eine Pionierin. In einem interdisziplinären Klimaforschungsprojekt, das aus 15 Teilprojekten bestand, konnte ich wissenschaftlich mit Fragen zum Spannungsfeld Partizipation und Nachhaltige Entwicklung Neuland betreten, und in rund 5 Jahren ein Wissenschaftsverständnis entwickeln, das mich bis heute prägt: Gesellschaftsorientierte Problemlösung benötigt integrierte Lösungen aus verschiedenen Disziplinen, und eine Wissenschaft, die willens und auch fähig ist, sich mit gesellschaftlichen Fragen und Strukturen auseinanderzusetzen.
Die politische Bildung hat es mir angetan, aber in einem Verständnis, das sich nicht auf formale Schulbildung beschränkt. Demokratie ist auf Bürgerinnen und Bürger angewiesen, die als Privatpersonen wie auch in ihren beruflichen Rollen Sachthemen reflektieren und sich eine mündige Meinung bilden, die sich Gedanken machen um die Pflege von Gemeinwohl und Gemeinsinn, und dies ein Leben lang. Nach meiner Dissertation war ich von 2002 bis 2009 bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg erneut als Fachreferentin tätig, und habe neue Fachbereiche im Bereich Entwicklung der Zivilgesellschaft, des freiwilligen Engagements und der Umweltbildung aufgebaut.
Ein zentrales Querschnittsthema ist für mich in all meinen Tätigkeiten die Position und Situation von Frauen in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in der Politik. Die nach wie vor bestehenden Diskriminierungen von Frauen und Mädchen und die fehlende gerechte Verteilung der Belastung von bezahlter und unbezahlter Arbeit mit all ihren negativen Folgen müssen weiterhin thematisiert und diskutiert werden.
Von 2011 bis 2013 absolvierte ich ein Masterstudium der Angewandten Ethik an der Universität Zürich, um politische Bildung um ethische Perspektiven stärker in meinen neuen Positionen als Studienleiterin für Gesellschaft und Ethik am ev. Studienzentrum Boldern in Männedorf und in der ev.-ref. Landeskirche des Kantons Zürich integrieren zu können. 2020 gründete ich das Forum „Demokratie und Ethik“, um der besonderen Herausforderung, immer komplexere Problemlagen in immer vielfältigeren Gesellschaften in Demokratien zu lösen, begegnen zu können.
Seit 2020 bin ich einerseits wieder zurück in der Wissenschaft, zuständig für Nachhaltige Entwicklung in Forschung und Lehre an der Universität Zürich. Zum zweiten werde ich das Feld Klimabildung im Bundesamt für Umwelt betreuen. Das Forum Demokratie und Ethik wird in 2021 weiter ausgebaut als Debattenforum, das besonders auf Demokratie als werthaltiges Leitbild verweist.
SWONET: Was fasziniert und begeistert Dich bei Deiner Arbeit?
Jeannette Behringer: Mir geht es immer wieder neu darum, unterschiedliche Menschen und Akteure für die Entwicklung neuer Gedanken und Lösungen zusammenzubringen, die sich sonst nicht begegnen würden. Es ist mir ein Anliegen mitzuhelfen, die Versprechen der Demokratie umzusetzen: Politische Gleichheit und Freiheit. In einer kapitalistischen Wirtschaft müssen wir darauf achten, dass nicht nur Effizienz, sondern auch Gerechtigkeit als wesentlicher Wert erhalten bleibt.
SWONET: Wie hast Du den Begriff Karriere nach der Ausbildung gesehen und wie siehst Du Karriere heute?
Jeannette Behringer: Gerade aus meiner Erfahrung in der Gleichstellungsdebatte würde ich das Verständnis erweitern, da er in meiner Wahrnehmung zu sehr auf den Aufstieg in formal höhere Positionen verengt wird. Das war für mich zu Beginn meines beruflichen Lebens zumindest so. Gerade für den beruflichen Erfolg von Frauen ist es aber auch wichtig, dass sie ihre qualifizierte Ausbildung oder ihr Studium auch wirklich im beruflichen Leben anwenden können. Das bedeutet unter anderem: Wenn sich Nachwuchs ankündigt gilt es, mit dem Partner auszuhandeln, dass beide ihre Tätigkeit um ein gleiches Pensum reduzieren und dass beide sich absolut gleichberechtigt um den Nachwuchs kümmern. Das ist DIE Voraussetzung für Karriere und die berufliche Entwicklung für Frauen.
SWONET: Welchen Tipp gibst Du Berufseinsteigerinnen oder Gründerinnen?
Jeannette Behringer: Folge Deiner Leidenschaft. Und glaube nicht ausschliesslich der Formel, dass nur die Leistung zählt. Sie ist natürlich auch wichtig; aber es kommt mindestens ebenso darauf an, rechtzeitig Netzwerke für gegenseitige Unterstützung zu knüpfen. Und: Tritt selbstbewusst für die Frauenquote ein, eines der wichtigsten Gleichstellungsinstrumente der letzten Jahre.
SWONET: Wie startest Du in den Tag?
Jeannette Behringer: Mit einer Tasse heissen Wassers und einem „Sonnengruss“, einer Yoga-Übung.