4 Fragen an Nadja Scherrer – VP/Cultural Impact Strategist bei plus305

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Zuerst einmal Studium abbrechen – 

Ich wollte eigentlich von klein auf Lehrerin werden, denn ich wollte unbedingt mit Rotstift korrigieren ;). Ich habe dann auch fast die Hälfte der Ausbildung absolviert und viel gelernt. Aber ich brannte einfach nicht richtig für das Unterrichten. Ich merkte, dass ich lieber eine Materie perfektionieren wollte. Schliesslich konnte ich mich durchringen, das Studium abzubrechen.

Meine Mutter vertraute mir zum Glück. Sie wusste, dass ich meinen Weg schon finden würde. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie mir diese Freiheit gegeben hat, obwohl wir Zuhause unter grossem finanziellem Druck standen. Und zum Glück gibt es hier in der Schweiz ja auch noch Stipendien!

Dank einer Freundin bin ich dann auf das Übersetzungsstudium gestossen. Es war Liebe auf den ersten Blick: Sprachen, Kultur, Linguistik und ein Jahr im Ausland. Ich wollte schon immer im Ausland leben! Endlich war ich am richtigen Ort. Schon während des Studiums konnte ich Untertitel bei StarTV übersetzen. Das war ein toller Einstieg in die Berufswelt. Mein Auslandjahr verbrachte ich in London.

Nach Studienabgang keine Stellen auf dem Arbeitsmarkt

Nach dem Studium musste ich dann jedoch temporär und teilzeit als Education Manager beim British Council in Bern anfangen, weil es nicht so viele Stellen als Übersetzer:in gab. Das vereinte zwar meine Erfahrung im Bildungsbereich wunderbar mit meinem Studium. Trotzdem wollte ich in die Übersetzerindustrie wechseln. So habe ich mich auf einen Teilzeitjob bei der Medienbeobachtungsfirma Argus der Presse AG (heute ARGUS DATA INSIGHTS) als Übersetzerin für einen ihrer Kunden beworben: IBM.

Glück und Menschen, die einen erkennen

Obwohl ich kaum Erfahrung hatte und auch nicht sehr selbstsicher war (ich verkaufte mich zu Beginn meiner Karrier oft unter meinem Wert), stellte mich der damalige Vize CEO Linard Campell nach einem kurzen tollen Gespräch sogleich ein. Es war eine Riesenfreude, aber ich wusste auch, dass, sollte IBM diesen Auftrag je zurückziehen, ich den Job wohl wieder verlieren würde.

So erschuf ich mir meinen eigenen Job innerhalb der Firma und baute zusammen mit Linard proaktiv die Sprachabteilung bei ARGUS auf; eine Abteilung, die ich später auch leitete und Jahre später noch das grösste Umsatzwachstum der Firma verzeichnete. Natürlich stiessen wir auf viele Hindernisse, denn weshalb sollte eine Medienbeobachtungsfirma eine Sprachabteilung aufbauen? Ergab das Sinn? Und sollte dafür wirklich Budget freigegeben, Verkäufer:innen eingesetzt und Marketingmassnahmen unternommen werden? Es war wie ein kleines Start-up innerhalb des Unternehmens. Letzten Endes hatte sich unser Einsatz aber gelohnt, und wir konnten den CEO Ralph Brechlin von unserer Idee überzeugen. Nebenbei durfte ich zudem bei der Medienanalyse mithelfen, was ich wahnsinnig spannend fand. Und das, obwohl ich nicht Publizistik studiert hatte.

Neuland

Während dieser Zeit beschloss ich einen der ersten Studiengänge überhaupt in Interkultureller Kommunikation mit meinem eigenen Geld zu finanzieren. Ich opferte meine ganzen Ferien während 1.5 Jahren und pendelte zwischen Zürich und Lugano. So erwarb ich einen Exec. MA in Intercultural Communication. Damals – und manchmal auch noch heute – konnte niemand wirklich viel mit diesem Abschluss anfangen, aber für mich war die Wichtigkeit der Themen von Beginn weg klar und es entflammte eine absolute Leidenschaft für diese Thematik. Ich hatte sogar kurzzeitig überlegt, eine Doktorarbeit dazu zuschreiben, aber da hätte mir dann der praktische Bezug doch zu sehr gefehlt. Bei der interkulturellen Kommunikation geht es darum, Brücken zwischen verschiedenen Kulturen zu bauen, und zwar durch Kommunikation.

Unter Kultur verstehen wir Gruppen von Menschen, die sich durch bestimmte Einstellungen und Werte von anderen abgrenzen, das kann durch eine gemeinsame Erfahrung sein, zum Beispiel von Opfern, oder durch die ethnische, religiöse oder sprachliche Zugehörigkeit, aber auch durch das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung etc. Wie ihr seht, ist das ein wahnsinnig vielschichtiger Bereich, der auch viel mit Psychologie, Empathie und Soziologie zu tun hat.

Soll ich eine Tanzschule übernehmen?
Nebenbei unterrichtete ich immer auch Tanz und überlegte mir sogar einmal, eine Tanzschule zu übernehmen. Ich entschied mich dann dagegen, weil ich instinktiv wusste, dass ich die Abwechslung brauchte und nicht nur mit dem Körper arbeiten wollte. Ich brauchte auch die intellektuelle Herausforderung. So blieb das Unterrichten von Tanz über die Jahre hinweg immer eine wunderbar abwechslungsreiche und erfüllende Nebenaktivität, die mir erlaubte, ab und zu in eine ganz andere Welt einzutauchen, in der ich viel über Frauen und ihre Herausforderungen und Wünsche lernte. Den Tanz konnte ich auch überallhin mitnehmen.

Reisen und planlose Pläne

Als ich ARGUS dann nach 5 Jahren und knapp vor 30 verliess, zog es mich wieder ins Ausland, denn ich wollte meine theoretischen Erkenntnisse in der Praxis verstehen lernen. Wie fühlt es sich an als Frau in einem moslemischen Land zu leben? Wie fühlt es sich an, die einzige Weisse zu sein? Wie verständige ich mich mit anderen ohne gemeinsame Sprache? Ich lebte eine Weile in der Türkei, in Frankreich, Italien etc. und habe viel Zeit in Ägypten, Prag, in Madrid und auf Reisen in Afrika und Asien verbracht und so meine Sprach- und Kulturkenntnisse vertieft.

Nebenbei baute ich mein eigenes Geschäft auf: CrossCultural. So konnte ich über die Jahre für zum Beispiel für das Parlament des Vereinigten Königreichs und viele andere tolle Organisationen arbeiten: als Übersetzerin und Dolmetscherin, interkulturelle Vermittlerin und auch in der Medienarbeit.

Meditation und Silicon Valley
Viele Jahre später lernte ich meinen ersten Mann auf einer Reise durch Bali kennen und zog bald danach zu ihm an die amerikanische Westküste in die rote Sandwüste in Arizona. Dort habe ich eine Ausbildung als Ayurvedic Health Consultant und auch als Yogalehrerin gemacht, weil mich ganzheitliche Medizin und Meditation immer schon sehr fasziniert hatte und ich etwas Abstand von der Unternehmenswelt brauchte. Ich wollte mehr Sinn in meiner Arbeit finden. Von dort aus wurde ich dann jeweils für einen Monat ins Silicon Valley geflogen, um an vertraulichen interkulturellen Kommunikationsprojekten für Apple zu arbeiten. Das war unglaublich spannend – so viele Leute aus aller Welt kennenzulernen und die amerikanische Tech-Welt und der damit verbundene Luxus kombiniert mit der Sneaker-Kultur hautnah zu erleben.

Bist du vielleicht auch ein:e Multipotentialite?
Aber irgendetwas vermisste ich doch. Mir wurde klar, dass ich meine eigene Chefin und selber etwas kreieren wollte. So nahm ich ein abenteuerliches Angebot an und kaufte mich bei plus305 ein, der Werbeagentur des renommierten Werbers Alberto Jaen aus Madrid, und zog nach Miami. Er war noch im Aufbau, aber über die Jahre arbeiteten wir für wahnsinnig tolle Brands wie Real Madrid, MTV und auch viele wunderbare NGOs, wie etwa Voices for Children Foundation. Zusammen haben wir unsere Agentur dann in das entwickelt, was sie heute ist: eine Creative Impact Boutique. Ich hatte nicht viel Erfahrung in der Werbung, aber konnte meine Erfahrung im interkulturellen Bereich einbringen und habe über die Jahre unglaublich viele Weiterbildungen und Webinare besucht und sehr viel gelesen. Natürlich konnte ich auch sehr viel von Alberto und unserem Team lernen.

Endlich finde ich meinen Purpose

Endlich habe ich also meinen Platz gefunden (zu diesem Zeitpunkt bin ich schon 36 Jahre alt!): An der Schnittstelle von Unternehmertum, sozialer Nachhaltigkeit (Diversität/Inklusion), Kulturtransformation, Strategie und Purpose Branding. So kann ich alles, was ich gelernt habe und liebe vereinen. Sogar Mindfulness habe ich in unsere Trainings eingebaut. Es gibt halt auch Menschen, die Multipotentialites sind, wie das Emilie Wapnick so schön ausdrückt.

Seit fast 3 Jahren sind wir nun auch in der Schweiz tätig. Hier konnten wir den Pitch für Swatch gewinnen und durften im 2020 die erste biobasierte Uhr von Swatch weltweit lancieren. Ich habe zwar immer noch manchmal das Gefühl, vor allem in der Schweiz, dass wir unserer Zeit noch ein wenig voraus sind, aber Corona und Bewegungen wie #metoo und die Folge des Klimawandels begünstigen den Bewusstseinswandel. Denn er ist nicht nur nötig für unser Geschäft, sondern vielmehr noch für unsere Welt und uns alle.


Nach der persönlichen Story, 4 persönliche Fragen.                                  

SWONET: Was fasziniert und begeistert Dich an Deiner Arbeit?
Nadja Scherrer: Erst vor ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass meine grösste Leidenschaft ist, Brücken zu bauen. Durch Kommunikation und Sprache – zwischen verschiedenen Ansichten, Menschen, Ideen, Orten. Ich liebe diese Vermittlerrolle, weil es hier kein Schwarz/Weiss und nur Grautöne gibt. Meine Arbeit ist abwechslungsreich, kreativ, spannend, innovativ und bewirkt Gutes. Das habe ich mir immer gewünscht. Vor allem, dass ich nicht nur wirtschaftlichen Mehrwert schaffe, sondern eben auch Mehrwert für uns Menschen und unseren Planeten.

 

SWONETWie betrachtest Du Karriere, früher und heute?

Nadja Scherrer: «Aber was machst du denn, wenn es nicht funktioniert?»

Ich dachte immer, um Karriere zu machen, müsste man alle Regeln befolgen. Somit nahm ich an, dass das wohl nichts für mich sei, denn ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen. Als ich meine erste Führungsposition kündigte, um planlos in die Türkei zu ziehen, haben alle nur die Augenbrauen hochgezogen. «Aber was machst du denn, wenn es nicht funktioniert?» Diese Frage verstehe ich bis heute nicht… Das kommt doch ganz auf die Definition von Funktionieren an. Ich habe dann immer geantwortet: «Du, wenn ich in zwei Tagen wieder zurückkomme, dann ist das für mich kein Scheitern. Wenigstens weiss ich dann aus eigener Erfahrung, dass ich das nicht möchte. Das gibt mir inneren Frieden.»

Denn ich sah im Risiko immer auch eine Chance und konnte mir einfach nicht vorstellen, immer nur am gleichen Ort zu wohnen, zu arbeiten und immer das Gleiche zu machen. Mein Leben hat das auch bestätigt, denn es haben sich immer Türen geöffnet. Vielleicht ist ja planlos gar nicht so planlos. Für mich war die Vorstellung viel schlimmer, dass jeder Tag für den Rest meines Lebens mehr oder weniger gleich aussehen würde.

Which version of shit sandwich are you willing to eat?
Wenn ich nun zurückblicke, würde ich sagen, habe ich wohl doch Karriere gemacht. Denn jede:r sollte für sich selbst definieren, was Erfolg oder Karriere machen bedeutet. Für mich bedeutet es, dass ich erreicht habe, was ich immer wollte: Freiheit, Selbstbestimmung, internationale Vernetzung, mein eigenes Business mit einem guten Zweck und ganz viel Abwechslung im Leben und im Beruf. Natürlich gibt es auch in meinem Alltag Auf und Abs, als Unternehmerin nicht zu wenig, aber auch das gehört für mich einfach dazu. Die Autorin Liz Gilbert fragte einmal: «which version of shit sandwich are you willing to eat?» Genau das ist es: Alles hat seine Schattenseiten. Wir müssen uns einfach überlegen, mit welchen Schattenseiten wir uns am besten anfreunden können. Mein ganz persönliches Shit Sandwich kann ich ertragen, ein anderes würde ich nicht wollen.

 

SWONET: Was ist Dein Rat für Berufseinsteigerinnen oder Gründerinnen?

Nadja Scherrer: Ich finde Authentizität ist Gold wert.

Verkauf nie anderer Leute Ideen als deine und bleib du selbst, auch im Job. Das heisst, nimm deine Werte mit zur Arbeit. Schliesslich sind wir doch auch bei der Arbeit zuerst einmal einfach Mensch.

Freiheit gegen Sicherheit eintauschen

Den Gründerinnen wünsche ich vor allem viel Durchhaltevermögen. Unternehmertum fordert einen in so vieler Hinsicht heraus. Nur, wer es irgendwie schafft, sich immer wieder neu zu motivieren, hat Aufsicht auf Erfolg.

Was ich am schwierigsten finde, ist, auch dann an sich zu glauben, wenn sich der Erfolg noch nicht abzeichnet. Stell dich darauf ein, dass dich dein Umfeld versucht davon zu überzeugen, dass eine sichere Anstellung doch die viel bessere Lösung wäre.

Am besten überlegt man sich wirklich gut, welches Shit Sandwich man am besten erträgt. Für mich ist die ständige Unsicherheit im Unternehmertum und die vielen Zweifel von mir selbst und anderen trotz allem einfacher zu verdauen als der sichere aber oft repetitive und relativ unfreie Alltag von Angestellten.

 

SWONETWie startest Du in den Tag?

Nadja Scherrer: Meistens etwas müde, daher mit Kaffee. Aber ich habe fast nie mehr Mühe aufzustehen. Das war ganz anders, als ich noch angestellt war J. In disziplinierten Phasen meines Lebens gehe ich direkt auf die Yogamatte und mache ein paar Dehnungen und meditiere, bevor ich mit meinen Hunden spazieren gehe. In weniger disziplinierten gibt es keine Routine.

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